WETTEN, DASS ...?
Rohe Eier in der Freakshow
Ein Kandidat nagelt Eier auf ein Brett, ein anderer schlabbert mit seinem Köter um die Wette. Zwischendurch bemüht sich Thomas Gottschalk um die Konservierung deutscher Lachkultur - und bemüht dafür Witze aus der untersten Schublade.
Leipzig - Früher war nicht alles schlecht, aber das darf man so nicht sagen. Thomas Gottschalk darf viel sagen, wenn er bei "Wetten, dass ...?" zum munteren Phrasendreschen in die gute Stube der deutschen Fernsehnation einlädt. Das goldlockige Silbereisen des ZDF ist ein Freund guter deutscher Traditionen und vielleicht wollte Gottschalk in der jüngsten Ausgabe der öffentlich-rechtlichen Endlosschleife der streitbaren Eva Herman in die Bresche springen - und zeigen, was früher gut war und heute deswegen nicht schlecht sein muss.
Der Gartenzwerg beispielsweise, ein beliebtes Ostprodukt, welches dutzendfach in der Kulisse der Show drapiert wurde. Da könnten sich die Kinder der Internetgeneration noch was abgucken, unkt der Mann, der von Götz George einst als "Oberlehrer" beschimpft wurde. Kreativ war man abermals bei der Saalwette: Fünfzig echte Polizisten sollen als Gartenzwerge verkleidet in Leipzig erscheinen.
Doch vorher darf so manchem Zuschauer der Atem stocken, denn es naht die Invasion des Pöbel-TV: Die RTL-Moderatorin Inka Bause bringt genau eine Qualifikation mit - sie stammt aus Leipzig. Deshalb hat sie die Rolle des Vorzeige-Ossis abbekommen und darf mit leicht überdrehtem sächsischem Akzent - wenn sie bei RTL gegen das Höfesterben und die Einsamkeit rustikaler Viehtreiber kämpft, spricht sie Hochdeutsch - von damals erzählen. Zum Beispiel, dass zu Honeckers Zeiten die Leute emotionaler waren. Also war früher doch nicht alles schlecht?
Das gemütliche Sofa ist nicht der Ort für harte politische Diskussionen, sondern für immer wiederkehrende Gratwanderungen zwischen feinsinniger Satire und plumpen Bemerkungen, über die pubertäre Teenies und ergraute Männer im besten Alter gleichzeitig lachen können. Gottschalk, beim ZDF offenbar für die Kultivierung von wertvoller Verbalakrobatik unterhalb der Gürtellinie zuständig, kalauert über die Entstehungsgeschichte seines Gastes: "Da haben deine Eltern früher bestimmt gesagt, jetzt machen mir mal ne Bause."
Boris Becker mit todernster Mine
Zwischendurch taucht der erste Wettkandidat auf. Er bringt einen Korb Eier mit, die er auf ein Brett nagelt, ohne dass sie zerbrechen. Wundervoll. Lustig wird die Nummer nur in den Augenblicken, in denen es Thomas Gottschalk abermals gelingt, den Inhalt einer Saalwette mit ein bisschen Kichersex zu verbinden: "Ich bin hier der Eileiter", posaunt der Zeremonienmeister des deutschen Ü50-Fernsehens heraus, als habe er aus dem späten Werk eines deutschen Volksdichters namens Dieter Bohlen zitiert. Aber der ist ja im Pöbel-TV zu Hause, so wie die Inka. Später textet Gottschalk mit Blick auf die Hühnereier-Sammlung sowie den spätere Gast Alice Schwarzer tollkühn: "Das ist die Trophäensammlung von Alice."
Ein Raunen geht durch die Messehalle in Leipzig. Kerner hat Eva Herman rausgeekelt, wenig später flüchtete Joachim Bublath bei Maischberger vor dem mutmaßlichen "Alien" Nina Hagen und jetzt bombardiert Gottschalk das Mutterschiff der deutschen Emanzipation, bevor es überhaupt eingelaufen ist? Bange Minuten vergehen, doch zuerst steht ein Mann auf der Gästeliste, dessen Name auch als eine andere Umschreibung für die Definition des Wortes "Vater" gelten kann: Boris Becker. Einst Tennisstar, kurzzeitig DNA-Schleuder, jetzt seriöser Globetrotter und Buchautor.
In seinem neuesten Werk beschreibt er zwar nicht, wie man Besenkammern nach einem hormonellen Platzregen wieder aufräumt, dafür bekommen gestresste Eltern vom Tennisstar wertvolle Insidertipps zur "Körperertüchtigung" ihrer eigenen Kinder. Die meiste Kraft verwendet Becker jedoch nicht für das Sprechen, sondern für seinen gefährlich seriösen Blick. Wie der Bundespräsident bei der Weihnachtsansprache schaut Becker, als Thomas Gottschalk abermals in die Mottenkiste der schlechtesten Sexwitze greift und daran erinnert, dass der heutige Ratgeberautor früher selbst ganz munter Kinder in die Welt gesetzt hatte.
Niveau wie im Privatfernsehen
Ein wenig Scharfsinn bringt endlich Alice Schwarzer in die Runde, die bisher von nicht viel mehr als Ossi-Scherzen und Sex-Bemerkungen sowie Traditionsromantik lebte. "Autobahn geht gar nicht", sagt Schwarzer im Hinblick auf ein früheres ZDF-Showhighlight, als aus dem Sandmännchen-Talk mit Johannes B. Kerner ein Leistungskurs Geschichte mit echter Tagesschausprecherin wurde. Sie will ein bisschen streiten, mit Boris über die Vereinbarkeit von Jetsetleben und Familie. Mit Thomas, der seit Urzeiten mit derselben Frau verheiratet ist. "Thea hat nie an Scheidung gedacht, aber sicher schon mal an Mord." Schön, dass man mal über Treue gesprochen hat, denn das ist schließlich auch eine deutsche Tugend.
Den Höhepunkt der Show bildet die feierliche Opferung des öffentlich-rechtlichen Unterhaltungsbegriffs zugunsten einer Freakshow, wie man sie sonst nur aus dem Privatfernsehen kennt: Ein Kandidat wettet doch tatsächlich, dass er schneller als sein Labrador den Wassernapf leerschlabbern kann. Eine Nummer, die Dieter Bohlen in "Das Supertalent" mit Kusshand genommen hätte. Und tatsächlich züngeln Kerl und Köter wenig später um die Wette. Es wird ein Kampf um Leitungswasser und Würschtelwässerli, doch der Köter ist das optimal sabbernde Säugetier. Trotzdem reichen sich Hundi und Herrchen nach dem Wettstreit die Pfoten.