sweetymania geht weiter...

  • cool geschriebener text bezüglich der entwicklungen der klingeltonhysterie:


    Sweety Records


    Silvester 2009, eine Party. Zwei Männer, scheinbar ohne Begleitung, stehen am Fenster der Gastgeberwohnung und starren in den nächtlichen Himmel.


    “Und?", fragt der Ältere der Beiden, “was machst du beruflich?”


    “Ich bin bei Sweety Records", antwortet der Jüngere. Er ist circa 30 Jahre alt.


    “Oh Fuck". Der ältere Mann, Mitte 50, kippt sich seine ganze Bierflasche mit einem Mal in den Hals.


    “Wieso Fuck? Wir sind das erfolgreichste Musiklabel der Welt. Wir haben letzten Monat Madonna gesignt!".


    “Ja eben. Das ist es ja. Ihr habt mich 2006, nee, Anfang 2007 meinen Job gekostet. Ich war bei EMI-Sony-Bertelsmann-Universal Music, damals kurz vor der Fusion mit Warner, die ja dann nicht passiert ist. Wir wurden ja aufgelöst.”


    “Oh. Okay. Verstehe. Aber hey, Mann, das war eure eigene Schuld. Ihr habt unserem Mutterkonzern schließlich euren ganzen Kram gegeben, damals, Ende der Neunziger, Anfang des neuen Jahrtausends.”


    “Schon klar. Aber was sollten wir machen? Den scheiß Klingelton-Zug hatten wir nunmal verpasst. Nicht mal wir dachten damals, dass die Leute so bekloppt sein würden für einen Piepston 5 Euro zu blechen. Und dann, als ihr einfach auf den Markt gegangen seid, mussten wir wenigstens zusehen, dass wir unseren Anteil bekommen. Also haben wir uns auf Deals mit euch eingelassen. Konnte ja keiner ahnen, was ihr vorhabt. Dass ihr auch noch richtige Musik verkaufen würdet.”


    “Ihr habt trotzdem ziemlich Zicken gemacht, damals.”


    “Normal. Ihr habt schön eure Abos verkloppt, aber die meisten besoffenen Kiddies vorm Fernseher haben das nicht geschnallt und eh nur einen Ton runtergeladen. Für den haben wir dann unsere Anteile bekommen, aber den Bärenumsatz der Abos habt ihr euch verdammt nochmal allein eingesackt.”


    “Spinnst du? Hätten wir euch etwa Geld geben sollen für Sounds, die nie abgerufen wurden?”


    Ein offensichtlich sehr betrunkener Herr torkelt mit erhobener Faust auf den jüngeren Mann zu. Er ruft etwas von “geklauten Ideen” und “Rache” und fällt hin, bevor er zum Schlag ansetzen kann. Er bleibt reglos liegen.


    “Was war das denn für’n Irrer?” Der Jüngere der Beiden wendet sich angewidert ab.


    “Tim Renner.”


    Der ältere Herr hat sich ein neues Bier besorgt. “Ist ja auch egal, das mit den Abos war ja sowieso nur ‘ne kurze Nummer.”


    “Stimmt. Haben irgendwann eben doch zu viele geschnallt. Und als wir dann zum schriftlichen Einverständnis der Eltern gezwungen wurden, war das Thema durch. Hat aber für ein paar Milliönchen gereicht. Und zu dem Zeitpunkt hatten wir eh schon unseren eigenen Content.” Der junge Mann grinst.


    “Content, leck mich doch! Das war doch kein Content! Hochgepitchte Stimmen, die irgendeinen Schwachsinn singen, dazu ein blöder Vogel. Nicht mal unser Wegwerfschrott war so scheiße!”


    “Na und?” Der Jüngere nippt an seinem Prosecco. “Hat Kohle ohne Ende gebracht! Am geilsten war es, als im Internet die Kids anfingen, kostenlose Werbung für uns zu machen. Die haben den Vogel so gehasst, dass sie ü-ber-all Bilder gepostet haben. Zersägte Vögel und so. Haben wir gleich in die Werbung eingebaut, auf sowas stehen die Kiddies. Die Downloadzahlen sind daraufhin nochmal hoch gegangen. Der Wahnsin.”


    “Ich bin durchgedreht, als MediaControl die beschissenen Klingeltoncharts eingeführt hat. Bei jeder Band, die ich signen wollte, hieß es aus der Chefetage nur noch: ‘Sind die denn auch Klingelton-tauglich?’”


    “Au ja, die Charts haben ‘ne Menge gekostet. Eigene Sendung auf VivaMTV, wöchentlicher Abdruck in der BILD… hat sich aber gerechnet. Ihr hättet vielleicht besser aufpassen sollen. Ihr seid eben zu beschäftigt gewesen mit den lächerlichen Filesharern.”


    Der ältere Mann nimmt einen Schluck aus der Bierflasche und schweigt verbittert.


    “Mann", fährt der Jüngere fort, “komm, sei nicht so spießig. Ihr habt auch nur verkaufen wollen. Habt halt die Entwicklungen verpennt!”


    “Alle haben auf uns rumgehackt. Wir würden Musik nicht schätzen. Naja. Jetzt können sie mal sehen, wer hier welche Musik schätzt. Augustsonne! Allein der Name!”


    “Alter, die waren unser erstes Signing! Läuft heute noch wie Sau. Wir haben einfach so viel Kohle in die reingebuttert, bis die Leute das fressen mussten! Ohne Ende Werbung, das Video hat ‘ne halbe Million gekostet, die Tour mit Pur nochmal so viel. Und die Single kostenlos als Video und Song auf jedem neuen MP3-Handy, allein das hat uns 2 Millionen Album-Downloads gebracht! Der Hammer!”


    “Ihr hattet nie Talent, nie Gespür, nie ein Gewissen. Ihr hattet immer nur Geld.”


    “Und ihr wolltet immer nur kulturell hochwertigen Kram machen, oder was? Mann, IHR habt doch den Scheiß angefangen mit eurer Popstars-Kacke. IHR habt doch dafür gesorgt, dass Musik nichts mehr wert war!”


    “Jetzt mach mal halblang! Immerhin haben wir noch ein paar echte Künstler im Programm gehabt, die nicht den riesigen Reibach gebracht haben und die wir trotzdem gehalten haben, war schwer genug, das kann man ja von euch wohl nicht behaupten!”


    “Wozu auch? Wer will Geld in Musiker stecken, die keine Kohle bringen? Guck dir doch die ganzen Creative Commons ******* an, reden alle von freier Musik und sobald du ihnen mit ‘nem Deal und ‘nem Vorschuss kommst, fangen sie an zu sabbern!”


    Der ältere Mann resigniert.


    “Kann sein. Vielleicht hast du Recht. Am Ende waren es die Musiker, die das alles in der Hand hatten. Und wenn die jetzt bei euch Plattenverträge unterzeichnen, ist das eben so. Vielleicht hätten die ja mal eher das Maul aufmachen sollen. Damals.”


    “Geld regiert eben die Welt, Alter!” Der junge Mann nimmt einen letzten Schluck. “Ich muss los. Muss morgen früh raus. Meeting mit den Chinesen.”


    “Klar.”


    Der jüngere Mann haut dem älteren kumpelhaft auf die Schulter. “Kopf hoch, Mann! Die Zeiten haben sich eben geändert!". Er geht.


    Der ältere Mann geht zu einer Frau und legt seinen Arm um ihre Schultern.


    “Worüber habt ihr geredet?", fragt sie.


    “Über Musik. Glaub’ ich.”


    quelle: http://spreeblick.com/blog/index.php?p=438

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!