EU Verfassung Frankreich: "Non" statt "Oui" - Meinungen dazu?

  • Ich denke daß die Grundidee der EU keine schlechte Sache ist, ganz im Gegenteil.


    Man hätte sich nur darauf beschränken müssen keine neuen Beitrittsländer mehr aufzunehmen weil das einfach den sinnvollen Rahmen sprengt. Privilegierte Partnerschaften - OK, aber keine Vollmitgliedschaft. Dafür sind die kulturellen und wirtschaftlichen Unterschiede einfach zu massiv und die Idee gemeinsamer Werte und Moralvorstellungen funzt irgendwann nicht mehr weil ein Bauer in Ostanatolien schlichtweg in einer "anderen Welt" lebt als ein Städter London, Paris, Rom oder Berlin.

    Ich dachte immer es sei technisch unmöglich mit jemandem Sex zu haben, der Dörte heißt...

  • Zitat

    Original geschrieben von Printus
    Die ursprüngliche Idee der Gründerväter war aber eine Gemeinschaft zu schaffen, die außerdem gemeinsame Werte, sogar ähnliche Kulturen, hat.


    Naja, der ursprüngliche Gedanke des (Teil-) EG-Vorläufers EGKS war eher eine wirtschaftliche Zusammenarbeit in den montanindustriellen Sektoren und damit eine gegenseitige Kontrollfunktion über die Rüstungsindustrie - also eigentlich ganz pragmatisch gedacht. Die Europa-Visionen kamen dann erst etwas später, nachdem die Westintegration stabile Verhältnisse geschaffen hatte und die EGKS mit der EWG und EURATOM in die dann neue EG integriert wurden. Kohl war da später sicher eine Hauptfigur.


    Ein Türkei-Beitritt dürfte vor allem aus geostrategischer Sicht ziemlich interessant sein, aber aus meiner Sicht müsste sich die EU halt dann doch mal entscheiden, in welche Richtung sie will. Soll es die angesprochene Vision einer Kultur- und Werte-Union sein oder die Zoll- und Handelsunion oder beides oder etwas ganz anderes. Ersteres lässt sich sicher nicht ohne weiteres verwirklichen und die Türkei würde auch - zumindest auf absehbare Zeit - nicht dazugehören.


    Ich selbst fände vor allem sehr wichtig, daß die EU bei diesen mittlerweile erreichten Ausmaßen und Entscheidungsbefugnissen verstärkte demokratische Legitimation erfährt. Die Bürger empfinden die EU an vielen Stellen als maßregelnde Superorganisation, deren Vertreter letztlich aber keiner - zumindest subjektiv - so richtig gewählt hat und damit müssen ja früher oder später noch verstärkte Legitimations- oder mindestens Informationsprobleme auftreten, denn über die nationale Politik hat man kaum einen Einfluß auf die Europapolitik und dem Europäischen Parlament kommt ja durch das fehlende Initiativrecht und die nur geteilte Gesetzgebungsfunktion nicht die Bedeutung zu, wie wir das von den nationalen Parlamenten gewohnt sind. Die Verfassung macht diesbezüglich einen Schritt in die richtige Richtung, auch wenn die Kompetenzen des Parlamentes auch heute schon zugegebenermaßen größer sind, als angenommen.


    Ausserdem benötigt die EU wie angesprochen dringend eine massive Aufklärungskampagne, oder kann mir von euch jemand ohne Google oder Wikipedia die Rolle von Kommission, Parlament, Ministerrat und Europäischem Rat in einem EU-Gesetzgebungsverfahren erklären? ;)

  • Was die Türkei betrifft denke ich das sie schon Vollmitglied werden sollen, denn ne Priviliegerte Partnerschaft wäre so schwammige Definition, das sie im Grunde nichts wert ist. Denn ne Partnerschaft zwischen der EU und anderen europäischen Ländern, wie eben der Türkei oder auch der Schweiz und Norwegen. Dann der Türkei eine priviligierte Partnerschaft anzubieten wäre imho nur Augenwischerei, um nicht Verarsche zu sagen.


    Ich denke eine EU Verfassung ist sehr wichtig, damit die EU selbst auch eine Bedeutung erlangt, die über die Institution hinausgeht. Wenn es eine EU Verfassung gibt, heisst das ja nicht das die Verfassungen der Mitgliedstaaten nicht mehr da wären.

  • Zitat

    Original geschrieben von Martyn
    ...denn ne Priviliegerte Partnerschaft wäre so schwammige Definition...


    Davon ganz abgesehen, wie sähe denn das aus? Es sitzen 25 Leute an einem großen Tisch und das 40 Millionen-Einwohner-Land, die Türkei, darf daneben am Kindertisch sitzen und nur sporadisch mitentscheiden.
    Das ist Blödsinn!!


    Zitat

    Original geschrieben von Martyn
    Wenn es eine EU Verfassung gibt, heisst das ja nicht das die Verfassungen der Mitgliedstaaten nicht mehr da wären.


    Das ist eingeschränkt richtig, denn EU-Recht geht vor Bundesrecht. Wenn wir also unsere Selbstständigkeit in einem bestimmten Gebiet an die EU abgeben ist sie weg!

  • Zitat

    Original geschrieben von TheTEXTOR
    Das ist eingeschränkt richtig, denn EU-Recht geht vor Bundesrecht. Wenn wir also unsere Selbstständigkeit in einem bestimmten Gebiet an die EU abgeben ist sie weg!


    Naja, zum einen kann man theoretisch aus der EU auch austreten und zum anderen hat das ja mit dem Grundgesetz und den Verfassungen erstmal nicht soviel zu tun, oder?


    Die Regelungen des Grundgesetzes bleiben doch weiterhin relevant. In der EU-Verfassung steht z.B. nix zu den Bundestagswahlen in Deutschland drin. Wie gesagt: das meiste, was vielen heute an der EU mißfällt hat mit der Verfassung nichts zu tun und lässt sich auch mit den bisherigen Verträgen machen. Die Verfassung soll nur die Verträge zusammenfassen und die EU auf neue Füsse stellen und dabei inhaltlich einige Modifizierungen vornehmen, die z.T. sehr sinnvoll sind (wie z.B. eben die Frage der Stimmverteilung bei der qualifizierten Mehrheit usw.). Wer also die Verfassung ablehnt, macht die EU damit auch nicht rückgängig, er drückt letztlich damit wohl eher - berechtigterweise (insofern, als es das einzige Mittel ist) - das Mißfallen über die heutige und die geplante EU aus. :)


    Aber man muß es auch auf den Punkt bringen: die neue Verfassung bringt vor allem verstärktes Mitspracherecht, eine Stärkung des Parlamentes und eine Änderung des lähmenden Einstimmigkeitsprinzip hin zur qualifizierten Mehrheit und damit viele wichtige Neuerungen - die Bedenken gegen die EU dürften sich daher eben eigentlich gerade nicht gegen die Verfassung richten. Das Abstimmungsverhalten ist daher aus meiner Sicht auch eher eine Mischung aus Abstrafung für die nationale Politik und diffusen Europa-Ängsten oder Unzufriedenheit über das als bürokratisch empfundene Brüsseler Konstrukt als tatsächlicher Widerspruch gegen die Verfassung.

  • OK, die Möglichkeit des Austritts habe ich jetzt nicht betrachtet, weil wir sonst binnen weniger Tage das ganze Land von Amis, Briten und Franzosen besetzt hätten, behaupte ich jetzt einfach mal ;)


    Mit den Verfassungen hast du natürlich Recht.
    Ich glaube aber auch, dass die Verfassung kaum jemanden abschreckt. Die (Rechte und) Pflichten, also Gesetze, sind die größten Misstrauensstifter der EU. Das wirkt sich natürlich auf die Verfassung aus, obwohl die Staaten nur in ihren Gesetzen an Souveränität verliert.
    Also Verfassung schön und Gesetze der EU abschreckend (nicht schön)... :D

  • Zitat

    Original geschrieben von Printus
    Mit dem Beitritt mancher (osteuropäischer) Länder im letzten Jahr und erst Recht wenn auch noch Rumänien, Bulgarien oder, als i-Tüpfelchen die Türkei, zur EU stossen wird die Idee einer gemeinsamen Kultur aber vollends unterhöhlt.


    Inwiefern sollte eine Mitgliedschaft von Bulgarien oder Rumänien die Idee einer gemeinsamen Kultur unterhöhlen? Bezogen auf die Türkeifrage kann ich die Bedenken ja noch halbwegs nachvollziehen, aber bezogen auf Bulgarien und Rumänien verstehe ich ehrlich gesagt nicht mal, was damit überhaupt gemeint sein soll. Worum geht es denn? Unterschiede im allgemeinen Wohlstand haben nichts mit der Idee einer gemeinsamen Kultur zu tun, falls es darum gehen sollte, muss man anders argumentieren.


    o2neuling

  • Zitat

    Original geschrieben von Martyn
    Was die Türkei betrifft denke ich das sie schon Vollmitglied werden sollen, denn ne Priviliegerte Partnerschaft wäre so schwammige Definition, das sie im Grunde nichts wert ist.


    Eine privilegierte Partnerschaft bedeutet nicht daß man sich nur "irgendwie zu Partnern" erklärt. Es würde bedeuten daß man ein wirtschaftliches Bündnis und Vereinbarungen trifft, die den gemeinsamen Handel zu besonderen Konditionen regeln. Das wäre also keineswegs eine schwammige Definition, sondern bedeutet schon eine klar definierte Beziehung im Rahmen eines Wirtschaftspaktes.


    Dadurch daß keine Vollmitgliedschaft besteht müßte die EU aber nicht die Entwicklung irgendwelcher abgelegenen Regionen, die überhaupt nicht europäisch geprägt sind, finanzieren. Sie müßte diese Gegenden und die Strukturen dort weiterhin nicht zwingen nach europäischen Maßstäben zu funktionieren, und man müßte sich mit den Türken auch nicht über irgendwelche Werte oder weltanschauliche Ansichten einigen.


    Weil eins ist doch klar: je mehr Mitglieder, je mehr Kulturen, um so kleiner der gemeinsame Nenner, auf den man sich bei Entscheidungen einigen kann. Und um so größer auch die kulturellen, wirtschaftlichen und entwicklungstechnischen Unterschiede zwischen den vielen, unter dem Dach der EU zusammengefaßten Regionen.


    Wenn man dann (als Vision) wirklich mal eine gemeinsame politische Strategie oder eine gemeinsame Außenpolitik fahren will - beispielsweise um bei Grundsatzdiskussionen wie amerikanischen Kriegsandrohungen gegen die von ihnen so genannten "Schurkenstaaten" oder bei der Frage "Wie wollen wir dem Terrorismus in der Welt begegnen?" mit einer Stimme zu sprechen - kann man kaum zu einer Einigung und einem festen, klaren Standpunkt finden weil irgendwann zu viele Eigeninteressen der zahlreichen Mitgliedsstaaten im Spiel sind.


    Deswegen bin ich der Ansicht daß man den Türken eine bewußte Sonderstellung in ihren Beziehungen zur EU einräumen sollte, aber eine Mitgliedschaft geht zu weit. Die Türkei ist ganz einfach kein europäisches Land...

    Ich dachte immer es sei technisch unmöglich mit jemandem Sex zu haben, der Dörte heißt...

  • Und wenn man sich vorallem mal die Infrastruktur einiger neuer und möglicher Mitgliedsländer so ansieht, kann man sich schnell ganz neue Trilliardengräber vorstellen.


    Rumänien oder Bulgarien zum Beispiel haben eine Infrastruktur und Wirtschaft gegen die der Mitteleuropäischen Länder wie Polen, DDR und CSSR eine wunderbare Hightechwelt war.


    Und um diese Länder auf einen einigermaßen vernünftigen Stand zu kriegen werden Unsummen an Eurosubventionen nötig sein, dagegen war der Aufbau Ost ein Kinderspiel.


    Deutschland wird dadurch auch viele weitere Milliarden Euro verlieren, die dem eigenen Aufbau fehlen.


    Und vor dem weiteren Ausbau der EU sollte man in Brüssel vielleicht erstmal genau definieren was Europa sein soll und nicht ständig neue Mitglieder rekrutieren.

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    Ericsson T39m
    Legends never Die!
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  • Die Angst schien ein Kreuz zu machen


    Genau dieses zuletzt beschriebene Gefühl oder sogar die reale Angst, dass die EU für viele französische Köpfe deutlich zu schnell voranging (und weiterhin vorangehen wird) konnte dazu beigetragen haben, dass sich Frankreich im Referendum gegen die EU-Verfassung ausgesprochen hat. Angst vor - auch recht unwahrscheinlichem - Eintreten ist der Kreuz-auf-Wahlzettel-Macher schlechthin. Das befürchte ich für die Volksabstimmung in der Schweiz (Schengen-Raum-Beitritt) am nächsten Sonntag ebenfalls: Die Angst-Plakate, die das Attribut "plakativ" wahrlich verdienen, verheißen für den nötigen Bildungsstand nichts Gutes. Ist jemandem von euch bekannt, wie in Bezug auf die Plakat-Aufmachung und mit welchen Argumenten das französische Referendum vorbereitet wurde?


    Dass ausgerechnet das Volk einer "EU-Gründernation" ein Nein zur EU-Verfassung hervorbringt, könnte nun einerseits nun manchen Schritt zu einem geeinten Europa verlangsamen (was nicht prinzipiell schlecht sein muss), und andererseits dadurch auch einer neuen Wertediskussion den Weg bereiten: Wenn jetzt eine Fokussierung auf die ersten und -unter uns- ursprünglich europäischen EG-Staaten stattfindet, können die Bevölkerungen dieser Staaten vielleicht wieder da abgeholt werden, wo sie stehen wollen: in einem Europa gleichgestellter Nationen mit gleichen Startvoraussetzungen in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht.


    Gruß vom Schwob :)

    Wenn Du etwas gut kannst, ist es Zeit, etwas Neues zu lernen.

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