ZitatOriginal geschrieben von Martyn
Nur noch in der hessischen Verfassung gibt es die Todesstrafe, in der bayrischen Verfassung gibt es die Todesstrafe definitiv nicht mehr. Wurde imho so um 1990 gestrichen.
1998 wurde sie in Bayern gestrichen. In Hessen ist der Artikel 21 aber nach wie vor in Kraft, wenn auch wirkungslos.
Das Problem in Hessen besteht darin, dass Verfassungsänderungen nach Artikel 123 zwingend eine Volksabstimmung voraussetzen und keiner weiß, wie so eine Volksabstimmung ausgehen würde. Rational gesehen müsste man sich keine Sorgen machen, weil der Artikel 21 sowieso wirkungslos ist, aber trotzdem würde die eventuelle Bestätigung des Artikels 21 einen verdammt schlechten Eindruck machen, also lässt man es lieber ganz.
Zum Thema an sich: Zunächst einmal sehe ich die Regelung aus Artikel 21 mit der Regelung aus Artikel 3 in Konflikt. Sowohl das Leben als auch die Würde des Menschen sind unantastbar, aber dass die Todesstrafe das Leben antastet, dürfte klar sein und dass sie die Menschenwürde antastet, ist zumindest meiner Meinung nach ebenfalls klar.
Die Verfassung ist also verfassungswidrig, weil sie sich selbst widerspricht. Dass die präzisere Formulierung aus Artikel 21 den Artikel 3 aufhebt, ist mir schon klar, aber zumindest mir gefällt es überhaupt nicht, dass sich diese Verfassung zuerst die Unantastbarkeit des Lebens und der Menschenwürde groß auf die Fahnen schreibt und hinterher sagt, es sei alles doch nicht so gemeint. Entweder man bekennt sich zu diesen Werten oder man lässt es sein. Werte sind keine Sachfragen, kein Alltagsgeschäft und keine Handelsware, Werte sind unteilbar.
Warum verstößt die Todesstrafe gegen die Menschenwürde? Weil sie das Extrembeispiel dafür ist, wie ein Mensch sich über einen anderen stellt, und das auch noch im Namen der Gerechtigkeit. Kein menschliches Leben hat einen höheren oder geringeren Wert als irgendein anderes menschliches Leben, also darf man sowas auch nicht praktizieren. Das gilt übrigens für jede Form der Körperstrafe und nicht nur für die Todesstrafe.
Um es gleich vorwegzunehmen: Nein, ich sehe das auch nicht anders, wenn es um einen Fall geht, in dem ein Mensch einem anderen die Würde genommen hat und dafür bestraft werden soll. Dass eine Verletzung der Menschenwürde stattgefunden hat, ist schlimm genug und rechtfertigt nicht, die erste Verletzung der Menschenwürde durch eine zweite zu "ergänzen".
Übrigens: Jeglicher auch nur in die Richtung von "Auge um Auge, Zahn um Zahn" gehende Gedanke ist der hier herrschenden Rechtsstaatlichkeit völlig fremd. Strafen sind nicht dazu da, angerichteten Schaden durch neuen Schaden aufzuwiegen, sondern sie sind einzig und allein dazu da, aus einem verurteilten Straftäter einen besseren Menschen zu machen. Dass man aus einem toten Menschen keinen besseren Menschen machen kann, dürfte klar sein.
Auch dem immer wieder genannte Argument des Opferschutzes kann ich nichts abgewinnen. Gelegentlich kommt es sogar vor, dass man als Befürworter des Verzichts auf die Todesstrafe als Täterschützer gesehen wird. Nichts davon ist wahr. Richtig ist, dass Strafen niemals zum Opferschutz gedacht waren und dazu auch gar nicht geeignet sind. Dafür gibt es das Instrument der Sicherheitsverwahrung.
Da, wenn man das Wort "Sicherheitsverwahrung" nennt, immer wieder Beispiele von Fällen kommen, in denen es nicht funktioniert hat: Klar gibt es die, bestreitet kein Mensch. Aber diese Fälle sind Justizirrtümer und belegen also solche erst recht, dass der Justiz ständig Fehler unterlaufen, weil sie von Menschen gemacht wird. Also darf es erst Recht keine Strafen geben, die definitionsgemäß nicht korrigierbar sein können, insbesondere keine Todesstrafe.
Es soll ja angeblich auch noch Menschen geben, die dem christlichen Glauben etwas abgewinnen können. Diese Menschen sind nicht sehr zahlreich, was mich auch gar nicht so sehr stört, aber diejenigen, denen der christliche Glaube wirklich etwas bedeutet, können eigentlich gar nicht die Todesstrafe befürworten, weil in der heiligen Schrift schwarz auf weiß steht, dass Menschen keine Menschen töten.
Ein weitere Punkt ist der, dass jede Form der Einführung der Todesstrafe meiner Befürchtung nach zwangsläufig einen allgemeinen Sittenverfall zur Folge hätte. Wenn der Staat im Namen der Gerechtigkeit Menschen tötet, dann kann Gewalt ja doch nicht ganz so verkehrt sein. Und wenn der Staat im Namen der Gerechtigkeit Schwerstverbrecher tötet, dann kommen ein paar Jahre später die ersten Forderungen, für nicht ganz so schwere Verbrechen nicht ganz so schwere Körperstrafen einzuführen. Und schon sind wir bei der Einführung der Folter, fertig ist das Mittelalter.
Dies kann man nur verhindern, indem man an der Stelle keinen Kompromiss macht und jede Form der Körperstrafe, also auch die Todesstrafe, einfach verbietet oder, wo sie schon verboten ist, beim Verbot bliebt. Ein Rechtsstaat, der für sich in Anspruch nimmt, die bestmögliche Form des menschlichen Zusammenlebens zu sein, die unsere Gesellschaft jemals hervorgebracht hat, muss gerade im Zusammenhang mit schlechten Menschen immer wieder unter Beweis stellen, dass er besser ist.
Zum Abschluss: Ja, all diese Dinge wage ich auch Sexualstraftätern und den Gewalttätern vom 11. September zuzugestehen. Aus der Sicht eines Opfers ist es nachvollziehbarer, dass man seinen eigenen möglicherweise unüberwindbaren Schmerz auf den Urheber zurückwerfen möchte, aber rational gesehen wird dadurch nichts besser, also gibt es dafür keine Rechtfertigung. Wenn solche Straftäter durch irgendwas ihre Würde verloren haben, dann durch ihr eigenes Handeln, da braucht es keiner Nachhilfe durch den Staat im Namen der Gerechtigkeit.
Wenn es gar nicht anders geht, muss die Gesellschaft solchen Menschen bis zu ihrem natürlichen Lebensende ein paar Quadratmeter Raum und täglich würdiges Essen geben, andernfalls hat sie es nicht verdient, für sich in Anspruch zu nehmen, die Menschenwürde zu verteidigen. Dass das Geld kostet, ist kein Argument, weil auch organisiertes Töten Geld kostet, und das nicht zu knapp.
Aber um nochmal zur Problematik in Hessen zurückzukommen: Ich bezweifle, dass es klug ist, diesen Artikel in einer Volksabstimmung zu ändern. Erstens hat das Volk durch die Anerkennung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik bereits erklärt, dass es keine Todesstrafe will, also darf der Artikel bleiben und zweitens besteht die Gefahr, dass die Abstimmenden, falls die BILD-Zeitung meint, kurz vor der Abstimmung besonders reißerisch über eine Gewalttat berichten zu müssen, vergessen, in wie vielen unzähligen Fällen das geltende Strafrecht funktioniert und es tatsächlich gelingt, aus Straftätern bessere Menschen zu machen, ohne sie zu töten.