Zitat
Original geschrieben von DUSA-2772
Nein, es ist keine Zumutung und die zwei Sachen schließen sich auch nicht unbedingt gegenseitig aus.
Aber wenn die Leute bei ner Beerdigung keine anderen Sorgen und Probleme haben als sich über den von mir aus auch objektiv schlechten Kleidungsstil eines Trauergastes aufzuregen... Ich persönlich würde mich vielleicht kurz wundern, würde aber insgesamt die Anwesenheit begrüßen, denn - imho - darum geht es.
Wechsel doch einfach mal die Betrachtungsweise: Ist ein schlampiges Auftreten nicht auch als ein äußeres Anzeichen innerlicher Verwahrlosung, zumindest aber emotionaler Gleichgültigkeit, zu verstehen? Wer sagt denn eigentlich, daß man das Innere ("substance") immer streng getrennt von der äußeren Erscheinung ("form") betrachten kann, so als wären Inneres und Äußeres nicht die beiden Seiten ein und derselben Medaille? Ist der Mensch denn plötzlich kein ganzheitliches Wesen mehr, das eine ganzheitliche Betrachtungsweise erfordert?
Es ging bei dem von mir angeführten ehemaligen Schulkollegen übrigens um jemanden, der - immerhin mit einem Doktortitel der Betriebswirtschaft auf der Visitenkarte! - für einen großen deutschen Versicherungskonzern arbeitet und der ganz sicher genügend Geld verdient, um sich anständig kleiden zu können. Seine Frau stammt ebenfalls aus sehr wohlhabenden (früher hätte man gesagt: großbürgerlichen) Verhältnissen.
Was ich (und die anderen Trauergäste) kritisierten, war ja nicht die Tatsache, daß die beiden nicht in schwarzem Anzug bzw. schwarzem Kostüm erschienen. Niemand hätte etwas gesagt, wenn er z. B. in halbwegs neuen und ordentlich gebügelten schwarzen Jeans und einem glatt gebügelten Hemd aufgelaufen wäre. Wenn aber jemand zu einer Beerdigung erscheint wie ein Penner, dann ist das nach meinem Verständnis eben auch ein äußeres Indiz dafür, daß ihm die Trauer der anderen im Grunde seines Herzens am Ar... vorbeigeht. Und am offenen Grab einer älteren Dame einen Cowboyhut aus braunem Leder zu tragen und diesen nicht einmal bei der obligatorischen Verbeugung abzunehmen, ist sicherlich nicht dazu angetan, einen solchen Eindruck zu verwischen.
(NB: Im Grunde ist es doch wie in diesem Forum: Wenn jemand hier einen Beitrag verfaßt, dann läßt sich doch immer wieder feststellen, daß diejenigen Beiträge, deren Verfasser nicht nur auf den Inhalt ("substance"), sondern auch auf die äußere "form" (Orthographie, Interpunktion, Grammatik, angemessenen Stil, sinnvolle Gliederung usw.) achten, sich i. d. R. auch durch eine höhere inhaltliche Kompetenz auszeichnen. Zumindest für die Beiträge deutscher Muttersprachler läßt sich eine solche Aussage auch in einer derartig verallgemeinernden Form treffen.)
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Original geschrieben von DUSA-2772
Meine Beobachtung insgesamt in dieser auf Werbung, sorry, Marketing und Kommerz getrimmten Gesellschaft ist eben der eindeutige Trend zu "form over substance" - Inhalt(e) sind relativ egal oder zweit- bis viertranging, solange nur die Form und das Styling stimmt. Und als jemand, der den Dingen gerne unter die Oberfläche schaut bin da eben ein wenig von angepi...epst...
Ich zitiere mal den Titel einer Novelle, die ein bekannter Schriftsteller des 19. Jahrhunderts verfaßte, also zu einer Zeit, die ganz sicherlich nicht "einer auf Werbung, sorry, Marketing und Kommerz getrimmten" entsprach: "Kleider machen Leute". Das Verständnis von "form" als Ausdruck von "substance" läßt sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte beobachten und ist keine Erfindung unserer ach so kommerzialisierten Gesellschaft. Ich würde sogar behaupten, daß die Etikette in vielen gesellschaftlichen Bereichen heutzutage erheblich lockerer geworden ist, als sie es noch vor 30 Jahren war.
Aber wir verlassen das eigentliche Thema des Threads und werden philosophisch. Daher, bevor wir uns Schelte "von oben" einfangen: BTT.
Zum Philosophieren steht uns ja PN zur Verfügung.
Viele Grüße und einen
Happy Day