Ich wollte es kurz und bündig machen, kann es euch aber auch ausführen, wenns sein muss.
Gehen wir ein bisschen zurück, als Android noch nicht etabliert war:
Vor dem iPhone war der Begriff des Smartphones vielen Usern nicht geläufig. Die Symbian Geräte verkauften sich damals blendend (wie gerne erinnere ich mich an den Hype ums N95), jedoch NICHT primär, weil es Smartphones waren. Die Mehrheit der User kaufte die Geräte damals, weil sie vollgestopft mit Feautures waren - tolle Kameras, Navi usw... (Ich spreche nicht von uns hier!)
Durch das iPhone erst konnte sich das mobile Internet wirklich bei den Massen durchsetzen und das Smartphone gewann an Bedeutung: Und zwar durch einfach installierbare Apps, ohne Umwege über Suchen im Web, sondern durch einen all-in-one Store. Teilweise auch völlig sinnlose Apps, die einfach nur lustig sind.
Android war sehr sehr schnell zur Stelle (vergleichsweise!) und konnte genau das neu erweckte, gehypte Bedürfnis befriedigen: Mobiles Internet & Apps - zu einem einigermassen günstigen Preis und ohne das Apfel-Logo und die iTunes-Bindung.
Was macht Nokia? Das 5800 war damals zweifelsfrei ein nicht schlechtes Gerät. Die Ausgangslage war damals noch gut: Nokia hatte weiterhin das am weitesten verbreitete System und es gab tonnenweise Apps, welche aber noch nicht zu einer Einheit im Sinne eines Store zusammengefügt waren. Nun begeht Nokia in meinen Augen ein kolossales Missmanagement:
Die Lancierung von "Ovi": Statt auf den gängigen Namen Nokia zu setzen, verwirrt Nokia mit der Lancierung aller Online-Dienste unter dem Namen Ovi. Die normalen Enduser wissen nicht einmal, was das genau ist und trauen sich kaum, in ihren Handys das entsprechende Icon zu öffnen. Nokia verpennt es, schnell einen guten Store einzurichten. Sie behandeln das ganze zu stiefmütterlich, obwohl inzwischen dem ganzen Markt klar war, dass mobiles Internet und Apps zum PRIMÄREN BEDÜRFNIS des neuen Marktes gewachsen waren. Sie pushen weiterhin gewisse Funktionen, welche auch einen zusätzlichen Nutzen bringen, welche sich aber kaum vermarkten lassen. Der Vorstand merkt davon nicht, denn der Absatz steigt weiterhin, die Gewinne sind da. Und das geht so weiter und Nokia schafft optimiert auch die Bedienung viel zu langsam. Die Geschichte ist ja bekannt.
Das Problem dabei: Symbian wächst weiterhin, weswegen kein Alarm ausgelöst wird. Doch der Smartphonemarkt entwickelt sich zunehmend zu einem Markt mit einem sogenannten Netzwerkeffekt: Je mehr User das eine System nutzen, desto grösser wird der Wert dieses System. Schlussendlich bleiben nur wenige (wenn nicht gar nur ein) grosse Player. Wärend der Smartphone-Markt in zweistelligen Bereich wuchs, wuchs Nokias Symbian nur einstellig. Dies führt zum erheblichen Verlust von Marktanteilen. Nokia entscheidet sich für die Weiterentwicklung des damaligen (ich nenns jetzt mal böse so) Bastel-OS Maemo zu MeeGo zusammen mit Intel (Warum Intel? Wofür einen fast reinen Hardwareproduzenten für das eigene primäre OS ans Board holen?).
Nun gut, Nokia kann sich eine Weile noch über Wasser halten, indem sie einen immer grösseren Teil ihrere Marge an die Provider abgeben, welche dafür die Nokia Geräte noch gut bewerben und verkaufen sollen - verbunden mit günstigen Konditionen.
So langsam ist selbst bei Nokia allen klar, dass etwas geschehen muss: Elop kommt.
Seine erste Handlung war eigentlich der Stopp der Kuchen-Politik für die Netzbetreiber. Zudem hatte Elop endlich den Flopp "Ovi" abgeschafft und wieder alles unter den Namen Nokia vermarktet. Nokia konnte so wieder gute Gewinne einfahren, verlor aber extrem rasant an Marktanteilen. Symbian hatte zwar seine treue Userbase, konnte diese aber nicht mehr wirklich ausweiten. Es war klar, dass für die Sicherung der Zukunft Nokia auf dem neuen Markt mitmischen musste und dazu einige Änderungen nötig waren. Nokia stand vor der Entscheidung, zwischen folgenden Strategien zu wählen:
(Ich erläutere die nun mal kurz mit Vor- & Nachteilen)
1) Der Alleingang:
MeeGo mit Harmattan als Oberklasse, Symbian für den Massenmarkt und S40/30 für Low-End.
Der Vorteil ist klar, dass Nokia somit die bestehende Userbase behalten hätte. Zudem wären sie von niemanden abhängig.
Das Problem darin war jedoch, dass Symbian noch viel Zeit und vor allem sehr viel Geld benötigte, um bezüglich den vom Markt verlangten Eigenschaften aufzuholen. (S^3 hatte gegenüber der Konkurrenz einige Alleinstellungsmerkmale und Vorteile, doch bei den wichtigen Bedürfnissen wie Usability, Apps, Internet usw waren sie gnadenlos hinterher. Punkt.) Zudem wurde damals klar, dass Meego nicht vor Mitte/Q3 2011 auf Geräten verkauft werden konnte und dass im damaligen Entwicklungszyklus eine Weile lang nicht mehr als nur ein MeeGo-Gerät pro Jahr auf den Markt gebracht werden könnte. Wichtig auch: Nokia und insbesondere Symbian hatten bereits ein Image-Problem: Die Kunden des neuen Smartphone-Massenmarkts, welche sich damals ein Touchscreen-Nokia gekauft haben, waren hinsichtlich ihrer Erwartungen bezüglich Internet, Apps, Usability enttäuscht! Die hätten so schnell nicht wieder ein Nokia gekauft, welches mit einem System daherkommt, welches ihrem vorherigen noch stark ähnelte (auch wenn dieses wesentlich verbessert wurde - auf den ersten Blick wäre es immer noch das "lahme Symbian")
Analysen (ich liefere sie nach, wenn ich diese wieder finde) gingen auch davon aus, dass es mit Nokias Liquidität eng werden könnte, nach all diesen Investitionen in den Alleingang in Anbetracht des damals extrem drastischen Rückgangs der Marktanteile sowie der Gewinnmargen. (Vergleich: Sinkende Margen - steigende Ausgaben)
2) Android:
Nokia wäre als letzter Hersteller auf einen laufenden Zug aufgesprungen. Das Adaptieren von Android hätte nicht weniger Zeit in Anspruch genommen als das jene von WP7. Zudem waren bereits damals nahezu alle Andriod-Hersteller von Patentklagen umhüllt. Das Ergebnis sieht man heute: Google sahnt den Gewinn ab, ein Grosskonzern verdient noch gut Geld und alle anderen normalen Handyhersteller können mit einer schwarzen Null schon sehr zufrieden sein. Heute macht keiner ausser Samsung Gewinne. Und die nur, weil hinter dem Handyhersteller ein gigantischer Elektronikkonzern steht, welcher auch etliche Techniken sonst produziert und nutzt und somit von Syniergieeffekten profitieren kann. Zudem wäre Nokia bei Android auf sich alleine gestellt gewesen. Im Falle finanzieller Schwierigkeiten hätte sich Google einen Dreck um Nokia geschert - die haben ja genug andere Hersteller. Der Vorteil wäre, dass die bestehende Userbase von Nokia Android wohl wesentlich schneller adaptiert hätte, als beispielsweise WP7. Problematisch wäre es für Nokia zudem gewesen, sich aus der Masse abzuheben. Im Gegensazu zu MS wollte Google Nokia keine Sonderbehandlung gewähren.
3) Zusammengang mit MS:
Nachteil: Kompletter Verlust des bisherig Erreichten, eine verärgerte Userbase, ein grosses Risiko.
Vorteil: Nokia konnte als primärer Partner von MS Sonderbehandlung geniessen und sich damit von anderen Herstellern des OS absetzen. Zudem wäre Nokia nicht einer von vielen im riesigen Teich, sondern DER Zulieferer von WP7/8. Man wäre am Neuaufbau des Ökosystems beteiligt. Wichtig auch, dass hinter diesem System Synergien mit dem weltweit meistverbreiteten Betriebssystems für Computer stehen. Doch noch wichtiger: Der Partner beteiligt sich an der Vermarktung des Ökosystems und auch hinsichtlich der Vermarktung der eigenen Produkte und ist extrem finanzstark. Zudem hat Nokia ja nicht wenig Geld kassiert und wird im Falle von Liquiditätsproblemen sicherlich jemanden hinter sich haben, der gewaltige Interessen daran hat, einem zu helfen.
4) Mehrere Betriebssysteme:
Problem: Hätte sich Nokia nicht exklusiv für MS verpflichtet, kämen sie nicht in den Genuss aller finanzieller Leistungen des Riesen. Android und Symbian? All dies zu finanzieren, hätte sehr schwer werden dürfen. Also nicht wirklich eine Option - Nokia brauchte eine klare Strategie und ein entschlossenes Handeln.
Aus dieser Sicht könnt ihr nun auch mal abwägen, ob der Entscheid dermassen weit hergeholt war. Ich selber hätte wohl anders gehandelt, kann die Überlegung aber durchaus nachvollziehen.
Nun kommt der Punkt, über welchen ich mir selber am meisten unsicher bin: Warum Symbian bereits für tot erklären und damit Kunden vertreiben, wenn das "Neue" noch mehr als ein halbes Jahr auf sich warten lassen wird?
Dagegen sprechen klar extrem sinkende Gewinne und ein sehr sehr schneller Einbruch des eigenen Marktes.
Doch es gibt auch Gründe dafür: Ich erachte es als sehr ehrlich, dies damals so direkt zugegeben zu haben. Stellt euch die Verärgerung der User vor, welche sich Sommer 2011 das aktuelle Symbian-Gerät / das N9 gekauft hätten, wenn sie nur kurz darauf erfahren hätten, dass ihr System schon lange begraben wurde. Ein weiterer Vorteil ist, dass durch Nokias exklusives und derart starkes Engagement für WP viele Entwickler schon im Voraus das Potential des Systems nicht verpassen wollten und Apps entwickelten. So konnte Nokia beim Launch auf ein bereits breites Angebot "stolz sein". Der Zuwachs im Store von MS ist sicherlich beachtlich.
Aber wie gesagt, bezüglich dieser Entscheidung bin ich mit extrem unsicher.
Die weiteren Schritte danach sind eigentlich nur eine logische Konsequenz aus dem eingeschlagenen Weg. Meltemi zu begraben halte ich für absolut richtig (Vorausgesetzt, die gewählte Strategie soll auch so durchgezogen werden). WP nimmt mehr Zeit zum entfalten in Anspruch, als sich Nokia erhofft hatte. Dies ist einerseits MS zuzuschreiben, da sie nicht schnell genug gewisse Funktionen nachliefern konnten, andererseits aber auch Nokia. Die Lumias sind nette Geräte, aber ein wirklicher Blockbuster fehlt. Ein "Must-have" Feeling kommt nicht auf. Ich hätte hier noch mehr Investitionen erwartet, gleich zu beginn einen grösseren Screen, eine bessere Cam, mehr Speicher, eventuell noch ein paar Apps von Nokia, usw... Schade. Zumindest haben sie es optisch auf die Reihe gekriegt und sind neben Apple die einzigen, welche keinen schwarzweissgrauen plastischen Einheitsbrei verkaufen!
Windows 8 - WP8: Dass dadurch das Potentiel von WP8 enorm steigt, ist nicht zu bestreiten. Doch das wird wiederum Zeit in Anspruch nehmen Zuerst muss sich Windows 8 etablieren, dann gewöhnen sich die Leute daran und dann wird WP8 für eine enorm grosse Masse wiederum viel interessanter. Und genau bis dahin muss Nokia überleben. Daher verstehe ich es durchaus, dass die sich von einigen Sparten nun trennen. Sie haben das Risiko gewählt also tun sie auch alles dafür. Im Notfall gibt es immer noch MS, einen bekannten Kreditgeber
(Ratet mal, welche Firma mit Fruchtelogo NUR dank dem Kredit des Riesen einst überlebt hatte...)
Sollten sie das überleben, stehen sie als Anführer des dritten relevanten Ökosystems wieder gut da und geniessen vom Partner eine gute Behandlung und heben sich gegenüber anderen Handyherstellern ab.
So, nun haut mir den Kopf ein 
Und übrigens: Das Kursziel erfreut mich sehr
- Ich überlege ernsthaft, kurz vor der Vorstellung der neuen WP8 Serie eine nette Summe in die Finnen zu stecken...