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Original geschrieben von D-Love
Unverständlich allerdings, dass die Union sich nicht gegen die infamen Lügen der SPD mit gleicher Entschlossenheit verteidigt und genauso scharf genossen hat. Bessere Vorlagen, als die Bilanz von sieben jahren Rot-Grün, hätte man eigentlich gar nicht bekommen können.
Glückwunsch. Die Wahl ist jetzt fast eine Woche her und Du steckst noch mitten im Wahlkampf drin und Dir fällt gar nicht auf, dass Deine Idealvorstellung vom Wahlkampf die Realität des Wahlkampfs war und das Ergebnis bekanntermaßen schlecht ist, während die eigentlichen Wahlkämpfer schon längst wissen, was sie falsch gemacht haben.
Konkret: Das "Scharfe Schießen" auf die "Bilanz von Rot-Grün", das Du hier vorschlägst, ist nicht der Besservorschlag eines Außenstehenden für einen Besserwahlkampf, sondern es war der reale Wahlkampf, wie er sich bis vor einer Woche abgespielt hat, und es hat nicht funktioniert. Einige Leute aus der Union haben, soweit es das derzeitige Schweigegebot zulässt, schon längst erkannt, dass der Fehler darin bestand, sich voll und ganz auf das Herunterreden eines 82-Millionen-Staates zu beschränken und soziale Fragen als wirtschaftsfeindlich darzustellen, insofern ist Dein Vorschlag nicht nur unpassend, sondern auch bereits überholt.
Im Übrigen nehme ich Deine Perspektive zur Kenntnis, frage mich aber trotzdem, wie es überhaupt sein kann, dass Leute die Schuld an Misserfolgen immer und immer wieder ausschließlich bei anderen suchen, egal worum es geht, und nicht einmal daran denken, dass eigenes Fehlverhalten, in diesem Fall die einseitige Festlegung auf die Erzeugung schlechter Stimmung, also genau das, was Du vorschlägst, obwohl es doch so gemacht wurde, auch zum Misserfolg beigetragen haben kann.
Weshalb die Union sich gegen die teilweise wirklich sehr persönliche und harte Kritik an Herrn Kirchhof nicht wehren konnte, kann ich Dir gerne sagen: Weil sie wegen der selten arroganten Selbstüberschätzung, die Wahl bereits Monate vor dem Wahltag haushoch gewonnen zu haben, nicht darauf vorbereitet war, sich überhaupt irgendwann mal wehren zu müssen, und weil sie wegen der einseitigen Festlegung auf die Erzeugung schlechter Stimmung, die sich gegen den Gegner richten sollte, keine gute Stimmung für sich selbst erzeugen konnte.
Überspitzt formuliert: Die dachten ernsthaft, der Gegner habe immer alles falsch gemacht und werde immer alles falsch machen und man selbst liege auf jeden Fall richtig - Arroganz eben - und müsse sich somit gar nicht erst darauf einstellen, irgendwann mal angreifbar zu sein, weil dieser Fall sowieso nicht eintreten könne. Die Realität hat sie aber eines besseren belehrt. Wenn diese Wahl etwas Positives hat, dann ist es die Erkenntnis, dass mit einseitigem Schlechtreden des Gegners und Herunterreden eines 82-Millionen-Staates keine Wahl zu gewinnen ist.
Ich trau mich fast gar nicht, es noch mehr zu überspitzen, aber trotzdem, raus damit: Überall ist die Rede davon, die SPD habe ein Problem, weil sie links amputiert sei, aber in Wirklichkeit gilt dasselbe auch für die Union, und das weiß die Union auch.
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Original geschrieben von Bob_Harris
Anders kann ich mir bspw auch nicht erklären, warum 25% der Arbeitslosen die Linkspartei gewählt haben. Das ist doch der klare Wunsch nach "weiter so", Hauptsache die staatlichen Leistungen fürs Nichtstun bleiben erhalten, ob mit der Wahl der Alt-Linken ein investitionsfeindliches Klima erzeugt wird, ist denen doch völlig egal... :mad:
Möchtest Du nicht vielleicht doch irgendwann mal darüber nachdenken, bis zu welcher Grenze Menschen einstecken können und wann dann mal Schluss ist? Möchtest Du nicht darüber nachdenken, ob es nicht vielleicht sein könnte, dass Leute sich in einer Art und Weise wehren, die Dir nicht passt, weil sie sich schlecht behandelt fühlen, und zwar nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern auch in der Art und Weise, wie man über sie redet?
Ernsthaft: Ich kann die Worte "Arbeitslosigkeit" und "Leistung fürs Nichtstun" in einem Satz nicht mehr hören. Was ist das überhaupt für ein Menschenbild? Es geht hier um einen Restbetrag an Geld, den Leute, die unverschuldet in eine Notlage geraten sind, brauchen, um sich zu ernähren. Und was soll die wiederholte Anmaßung, stellvertretend für andere zu entscheiden, wie sie zu wählen haben, damit sich ihre Lage bessert? Einerseits höre ich Kritik an der angeblichen Nichtanerkennung eines Wahlergebnisses durch eine Partei und andererseits treten hier Leute so auf, als könnten sie die Entscheidungen der Empfänger von "Leistungen fürs Nichtstun" ebenso nicht anerkennen, indem sie sie belehren. Das soll dann aber plötzlich nicht mehr verkehrt, sondern richtig sein.
Mal ruhig weiter an Deinem Feindbild der Empfänger von "Leistungen fürs Nichtstun", aber wundere Dich nicht, wenn Du auf diesem Wege niemanden überzeugen kannst, die Betroffenen erst recht nicht.
Der "Nur wenn es richtig wehtut und maximal unsozial ist, war die Reform richtig"-Fraktion (oder um es mit dem ausgetretenen Schlagwort zu sagen, das ich nicht leiden kann: den "Neoliberalen") möchte ich noch folgendes mit ins Wochenende geben:
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Seit Sonntag wird über uneinsichtige, weil angeblich reformunwillige Wähler lamentiert. Dabei sind die Leute womöglich ziemlich schlau gewesen, und Deutschland bräuchte dringend bessere Reformpäpste. [...]
Die Frage ist, ob man die jetzige Lage dem Wähler vorwerfen kann. Vielleicht waren ja die Empfehlungen der nun laut lamentierenden Reformpäpste einfach zu schlecht, um die Menschen mitzureißen. Das spräche für schlaue Wähler - und eher zweifelhafte Experten. [...]
Das spricht nicht per se gegen Reformen. Nur hat das beim Volk der Nichtökonomen mehr kognitive Dissonanz ausgelöst, als es eifrige Stammtischmanager und Schattenkanzler womöglich mitbekommen haben. Da hilft auch der Spruch immer weniger, dass die Reformen eben noch viel weiter gehen müssen - so wie es Angela Merkel vorhatte. [...]
Hier liegt womöglich der Grund dafür, dass die Fast-Kanzlerin beim Volk ebenso schwach abschnitt wie der Ich-will-bleiben-Kanzler; dass das Volk so unartig gegen Großexperten und selbst ernannte Wahrheitsverwalter gestimmt hat. [...]
Was die Deutschen brauchen, sind nicht mehr oder weniger Reformen - sondern bessere. Die bisherigen Schritte waren zu sehr auf Verzicht und Sanktionen aus, zu wenig auf positive Anreize. [...]
Das Problem ist, dass den Deutschen zum neuen Reformmix bisher die Experten fehlen. Die sind damit beschäftigt, über ungeeignete Wähler zu klagen - oder zu kritisieren, dass Politiker zu Volksferne neigen.
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Quelle: http://www.ftd.de/me/cl/23468.html (über jeden Verdacht erhaben, in irgendeiner Weise reformfeindlich zu sein)
In diesem Sinne kann ich nur sagen: Dieses ständige "Reformen müssen so weh tun, wie nur irgend möglich"-Getöse, "Wer dies wählt, ist für Reformen und neue Arbeitsplätze und wer jenes wählt, ist gegen Reformen und neue Arbeitsplätze"-Geblubber und "Was auch nur im Ansatz sozial klingt, ist wirtschaftsfeindlich"-Gelaber geht mir langsam aber sicher richtig auf die Nerven.
Damit will ich nicht sagen, dass mir die derzeitigen Machtspielchen in Berlin weniger auf die Nerven gehen, aber ich sehe eine Chance darin. Die Machtspielchen werden ein Ende haben, vielleicht schon nächste Woche, vielleicht auch erst, wenn sich der Bundestag im Oktober konstituiert, aber danach gibt es eine Chance, vieles besser zu machen, als es mit einem anderen Ergebnis zu machen gewesen wäre, man muss die Chance aber auch annehmen.
Wenn man sich allerdings von Anfang an darauf beschränkt, einfach in den oben genannten Kategorien steckenzubleiben, dann kann es auch nichts werden. Der oben fettgedruckte Satz ist in greifbarer Nähe - dank dieses Wahlergebnisses.