BVerfG kippt "Abschussgesetz"

  • Ich habe mich mit dieser Thematik ehrlich gesagt zuvor nie beschäftigt. Als ich heute aber auf Phoenix die Urteilsbegründung von Herrn Prof. Papier gehört habe, habe ich mich irgendwie in mein 1. Jura-Semester (irgendwann im letzten Jahrtausend) zurückversetzt gefühlt.


    Keine Abwägung von menschlichem Leben gegen menschliches Leben, der Mensch als bloßes Objekt staatlichen Handelns, die menschliche Würde als Grundrecht völlig unabhängig von der noch verbleibenden Lebensdauer - das sind alles grundlegende Themen, die unmittelbar am Anfang der juristischen Ausbildung gelehrt werden.


    Insofern ist es fast schon erstaunlich, dass das Gesetzesvorhaben nicht schon viel früher gescheitert ist (etwa im Bundestag) und es überhaupt zu einer Entscheidung des BVerfG kommen musste.

  • Re: Re: BVG kippt "Abschussgesetz"


    Zitat

    Original geschrieben von booner
    Was die Berliner Verkehrsbetriebe nicht alles können :D


    Das hab ich mir auch gedacht, als ich nach dem Urteil suchend http://www.bvg.de eingetippt habe... :D

    Die Handy-History gehört nicht in die Signatur!

  • Hmm, ich finde das Urteil gut.


    Das Grundgesetz zu ändern, nur damit im öffentlichen Bild mehr Uniformen auftauchen, das möchte ich nicht! Man muss auch mal über den Tellerand gucken und sehen, wie es in Staaten aussieht, wo die Armee Polizeiaufgaben übernimmt-dort ist es nun wahrlich nicht sicherer als bei uns...


    Und der Abschuss von Passagiermaschienen ist auch Quatsch! Man kann nicht sagen, die im Flieger können eher ableben als die am Boden oder umgekehrt. Das geht einfach nicht...


    Ich persönlich würde mich als Passagier auch nicht abschiessen lassen wollen. Muss man sich mal vorstellen, drinnen will einen der Terrorist töten, draussen die Bundeswehr-einfach wunderbar! Nee nee, wenn mein Leben quasi egal ist, nur weil irgend son Terrorhansel meine Maschine gewählt hat, dann ist es das Leben derer, auf die der Flieger zusteuert aber auch.

  • Mal langsam hier. Auch wenn das Gesetz durchgekommen wäre, hieße das nicht, dass ein anscheinend fehlgeleitetes Verkehrsflugzeug sofort abgeschossen worden wäre.


    1. Was die Uniformen angeht


    Meiner Meinung nach leidet Deutschland noch immer an den Nachwehen des 2. WK. In keinem anderen europäischen Land würde eine solche Diskussion wie in Deutschland geführt werden. Natürlich ist es immer gut über ein Thema zu diskutieren, nur verläuft diese Diskussion in Deutschland nicht rational. Die Front der "Gegner" versteckt sich ja fast immer hinter der Vergangenheit.
    Es ist wirtschaftlich absoluter Unsinn große Mengen an Polizisten für Großereignisse bereitzuhalten. Das wird auch so nicht gemacht. Wenn ein spezielles Ereignis einen größeren Personaleinsatz erfordert kann man doch auf die Kräfte zurückgreifen die man hat. Bundeswehrsoldaten sind genauso Deutsche, sind genauso Menschen, sind genauso intelligent wie Polizisten. Natürlich müsste man vorher die Ausbildung erweitern und natürlich kann daraus kein Dauerzustand werden. Aber die generelle Ablehnung, weil die Soldaten grün gefleckte Uniformen tragen und deren Großväter einen Krieg geführt haben, halte ich für absolut dumm.


    2. Thema Luftsicherheit


    Ich kann die Begründung der Richter nachvollziehen, dass Menschen nicht über das Leben andere Menschen bestimmen können. Dies ist ein sehr menschlicher, jedoch wenig pragmatischer Ansatz. Ich weiß nicht, ob die Bundeswehr im Fall der Fälle überhaupt die Möglichkeit hat etwas zu tun. Wenn jedoch der Fall eintreten sollte und es sterben viele Menschen, weil niemand etwas tun durfte, wird die Diskussion danach sehr hitzig werden.


    MfG

  • Zitat

    Original geschrieben von Crashman
    1. Was die Uniformen angeht


    Meiner Meinung nach leidet Deutschland noch immer an den Nachwehen des 2. WK.
    [...]
    Aber die generelle Ablehnung ... halte ich für absolut dumm.


    :top:

    Zitat

    Original geschrieben von Crashman
    2. Thema Luftsicherheit


    ... Wenn jedoch der Fall eintreten sollte und es sterben viele Menschen, weil niemand etwas tun durfte, wird die Diskussion danach sehr hitzig werden.


    Spätestens dann wird sich was ändern...! :rolleyes:;)
    Was und wie auch immer...!


    Eisi

    Die Handy-History gehört nicht in die Signatur!

  • Zitat

    Original geschrieben von Crashman
    Dies ist ein sehr menschlicher, jedoch wenig pragmatischer Ansatz.


    Es ist nun einmal der Ansatz, den unser Grundgesetz vorschreibt. Eindeutiger, als es das BVerfG gestern getan hat, kann man sich dazu eigentlich nicht äußern ("unter der Geltung des Art. 1 Abs. 1 GG schlechterdings unvorstellbar").


    Das wird man schlicht akzeptieren müssen. Und da wir, wie andi2511 oben schon geschrieben hat, in unserer Verfassung diesbezüglich eine "Ewigkeitsklausel" haben, werden auch Änderungen nur bedingt möglich sein.


    Der pragmatische Ansatz muss deshalb anders aussehen:


    Mal angenommen, der vom Luftsicherheitsgesetz ins Auge gefasste Fall tritt ein. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden Terroristen ein entführtes Passagierflugzeug z.B. auf ein Atomkraftwerk stürzen lassen. Was passiert, wenn der Verteidigungsminister das Flugzeug nun - ohne die gesetzliche Grundlage des Luftsicherheitsgesetzes - abschießen lässt?


    Genau diese Frage hat das BVerfG gestern nicht zum Nachteil der handelnden Personen beantwortet. Es hat sie vielmehr ausdrücklich ausgeklammert. In strafrechtlicher Hinsicht käme hier ein sog. "übergesetzlicher entschuldigender Notstand" in Betracht - mit der Folge, dass der Abschuss zwar als rechtswidrig eingestuft, mangels Schuld eine Bestrafung aber nicht erfolgen würde.

  • Zitat

    Original geschrieben von Crashman

    1. Was die Uniformen angeht


    Meiner Meinung nach leidet Deutschland noch immer an den Nachwehen des 2. WK. In keinem anderen europäischen Land würde eine solche Diskussion wie in Deutschland geführt werden.


    Dem stimme ich zu.


    Zitat


    Natürlich ist es immer gut über ein Thema zu diskutieren, nur verläuft diese Diskussion in Deutschland nicht rational. Die Front der "Gegner" versteckt sich ja fast immer hinter der Vergangenheit.
    Es ist wirtschaftlich absoluter Unsinn große Mengen an Polizisten für Großereignisse bereitzuhalten. Das wird auch so nicht gemacht. Wenn ein spezielles Ereignis einen größeren Personaleinsatz erfordert kann man doch auf die Kräfte zurückgreifen die man hat. Bundeswehrsoldaten sind genauso Deutsche, sind genauso Menschen, sind genauso intelligent wie Polizisten. Natürlich müsste man vorher die Ausbildung erweitern und natürlich kann daraus kein Dauerzustand werden. Aber die generelle Ablehnung, weil die Soldaten grün gefleckte Uniformen tragen und deren Großväter einen Krieg geführt haben, halte ich für absolut dumm.


    Dem kann ich allerdings ich allerdings so nicht zustimmen. Ich lehne den Einsatz nicht ab, weil ich an die Vergangenheit denke (ich bin sogar immer der erste, der die Augen verdreht, wenn bei allen Gelegenheit immer mit die Vergangenheit argumentiert wird).
    Es ist auch überhaupt nicht der Punkt, dass Soladaten schlechtere Menschen sein, sondern schlicht und einfach ein Punkt der Ausbildung. Soldaten sind nun mal nicht für solche Einsätze trainiert. Man braucht für solche Einsätze ein gewissen soziales Gespür (um nicht soziale Kompetenz zu sagen) und genau dieses wird normalerweise beim Milität NICHT trainiert und sogar abgelehnt: Man hinterfragt nicht seine Befehle, man wägt nicht ab... Dies ist sicherlich für den Zweck einer Armee sinnvoll - aber um auf der Straße zu stehen nicht!
    WENN Teile der Bundeswehr richtig vorbereitet würden (und damit meine ich nicht einen Tag Schulung), dann hätte ich auch nichts dagegen. Aber dies scheint nicht zu geschehen. Solange lehne ich Soldaten als Hilfspolizei ab.
    Allerdings finde ich es total ok, wenn Soldaten die Polizei logistisch oder aus dem Hintergund heraus unterstützen. Aber (um es militärisch zu sagen) an der Bürgerfront will ich sie nicht haben...


    Zitat


    2. Thema Luftsicherheit
    Ich kann die Begründung der Richter nachvollziehen, dass Menschen nicht über das Leben andere Menschen bestimmen können. Dies ist ein sehr menschlicher, jedoch wenig pragmatischer Ansatz. Ich weiß nicht, ob die Bundeswehr im Fall der Fälle überhaupt die Möglichkeit hat etwas zu tun. Wenn jedoch der Fall eintreten sollte und es sterben viele Menschen, weil niemand etwas tun durfte, wird die Diskussion danach sehr hitzig werden.


    Diese Einstellung ist HOCH problematisch. Was heisst wenig pragmatisch? Willst du Grundrechte abschaffen/einschränken, wenn sie dir wenig PRAGMATISCH erscheinen?


    Aber gut, wollen wir es mal "pragmatisch" diskutieren:
    Das Problem mit den Flugzeugen ist doch normalerweise folgendes:
    Wenn ein solches entführt wird, dann weiss man nicht, was die Entführer vorhaben. Es besteht große Unsicherheit/Kontingenz ("es könnte so ausgehen, aber auch anders"). Was macht man nun (und diese Entscheidung muss innerhalb von Minuten getroffen werden)? Schiesst man das Flugzeug ab, wenn es sich z.B. aufs Zentrum einer Stadt zusteuert? Dann sterben auf jeden Fall die Insassen und ziemlich sicher eine Anzahl von Menschen am Boden durch Trümmer etc. (über dem Land abschießen wird wohl keine Option sein, denn zu dem Zeitpunkt weiss man ja noch gar nicht, ob es nicht nur eine "normale" Entführung ist). Wenn man dies nun getan hat, dann kann niemand mehr sagen, welchen Schaden das Flugzeug angerichtet hätte, wenn man es nicht abgeschossen hätte (man weiss ja ziemlich sicher nicht mal das eigentlich Ziel des vermeintlichen Anschlags). Wer will dann den Angehörigen der Opfer im Flugzeug und am Boden "pragmatisch" sagen, dass der Abschuss notwendig war, weil sonst noch mehr Menschen gestorben wären?! Das weiss ja niemand genau...
    Die Leute, die sich für einen solchen pragmatischen Weg entscheiden, scheinen immer zu glauben alle Fakten liegen auf dem Tisch: "Ein Abschuss kostet 100 Menschen das Leben, ein nicht Abschuss 200, also ist ein Abschuss besser!"...

    Und genau solche Abwägungen und Spekulationen können nicht von einem Politiker in ein paar Minuten vernünftig gemacht werden. Ein "pragamtischer" Weg ist absolut nicht praktikabel.


    Grüße!

    Galaxy Note 3 (vorher diverse iPhones)

  • Zitat

    Original geschrieben von ashd

    Genau diese Frage hat das BVerfG gestern nicht zum Nachteil der handelnden Personen beantwortet. Es hat sie vielmehr ausdrücklich ausgeklammert. In strafrechtlicher Hinsicht käme hier ein sog. "übergesetzlicher entschuldigender Notstand" in Betracht - mit der Folge, dass der Abschuss zwar als rechtswidrig eingestuft, mangels Schuld eine Bestrafung aber nicht erfolgen würde.


    Exakt! Man kann eben solche Situationen nicht per Gesetz regeln! Mann kann einen außergesetzlichen Notstand nicht regeln, denn dann kommt man in solche Probleme wie ich sie zuvor dargestellt habe... Das macht ja genau einen solchen Notstand aus!!
    Deswegen ist ein solches Gesetz auch abzulehnen... und das wurde es ja nun auch mehr als eindeutig und durch den Verweis auf Art. 1 GG wird sich da auch nichts "drehen" lassen...



    Grüße

    Galaxy Note 3 (vorher diverse iPhones)

  • Zitat

    Original geschrieben von MarkH
    Was heisst wenig pragmatisch? Willst du Grundrechte abschaffen/einschränken, wenn sie dir wenig PRAGMATISCH erscheinen?


    Diese Formulierung hatte ich oben ja auch gebraucht. Die Entscheidung ist insofern nicht pragmatisch, als sie den nachvollziehbaren Konflikt in einer der skizzierten Entscheidungssituationen einseitig beantwortet hat - das ist allerdings, zumindest aus meiner Sicht, nicht als Kritik zu verstehen, sondern die einzig denkbare Entscheidung insbesondere hinsichtlich der bewussten Tötung tatunbeteiligter Menschen gewesen.


    Es kann in diesen Fragen keine gesetzliche Aufweichung oder Abwägung geben, insofern ist Pragmatismus an dieser (der gesetzgeberischen bzw. verfassungsrechtlichen) Stelle tatsächlich auch nicht so sehr gefragt - wie dann in einer konkreten Situation entschieden werden würde, steht dann ja nochmal auf einem anderen Blatt, siehe Ausführungen von ashd.

  • Zitat

    Original geschrieben von andi2511
    Diese Formulierung hatte ich oben ja auch gebraucht. Die Entscheidung ist insofern nicht pragmatisch, als sie den nachvollziehbaren Konflikt in einer der skizzierten Entscheidungssituationen einseitig beantwortet hat - das ist allerdings, zumindest aus meiner Sicht, nicht als Kritik zu verstehen, sondern die einzig denkbare Entscheidung insbesondere hinsichtlich der bewussten Tötung tatunbeteiligter Menschen gewesen.


    Es kann in diesen Fragen keine gesetzliche Aufweichung oder Abwägung geben, insofern ist Pragmatismus an dieser (der gesetzgeberischen bzw. verfassungsrechtlichen) Stelle tatsächlich auch nicht so sehr gefragt - wie dann in einer konkreten Situation entschieden werden würde, steht dann ja nochmal auf einem anderen Blatt, siehe Ausführungen von ashd.


    Ehrlich gesagt hatte ich das in deinem Beitrag auch so verstanden. Aber in dem mir zitierten scheint dies doch als Kritik gemeint zu sein. So nach dem Motto: "Das Urteil ist zwar nachvollziehbar aber nicht gut, weil es wenig pragmatisch ist." Und soetwas scheint mir problematisch.
    Aber anscheinend haben wir ja da auch die gleiche Meinung ;)


    Grüße

    Galaxy Note 3 (vorher diverse iPhones)

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