Libyen und Gaddafi

  • Die Libyen-Entscheidung halte ich für sehr bedenklich. Die Glaubwürdigkeit der westlichen Politik steht auf sem Spiel - man droht zur Kasper zu werden. Darum hat die deutsche Regierung der Entscheidung auch nicht zugestimmt.


    Warum:
    Wenn man die Angelegenheit völkerrechtlich aufarbeitet, hat jeder Staat gleiche Rechte. Wenn man die Vorgänge in Libyen mal ohne die verhasste Gallionsfigur voranzutragen überdenkt, stellen sich die Vorgänge wie folgt dar:


    Der Regierung eines anderen Staates wird von den europäischen Staaten als rechtmäßig anerkannt. Und nicht nur das - als besonders vertrauenswürdigem Staat wird seine Polizei auch mit Waffen beliefert, mit denen dieser Staat/diese Regierung sich im Ernstfall gegen die Elemente verteidigen kann, die dem Staat gefährlich werden.


    Man darf nicht vergessen: Jede - auch die deutsche - Regierung bewaffnet die eigene Polizei, um diese Waffen gegen eigene Bürger einzusetzen. Auch gegen Demonstranten, die an nicht genehmigten und gewalttätigen Demos teilnehmen.


    Bei diesen Demos wird das Stadium erreicht, dass ein bewaffneter Mob brandschatzend durch das Regierungsviertel zieht. Etliche Ministerien gehen in Flammen auf. Wer die Vorgänge in Heiligendamm noch in Erinnerung hat, wird vermuten, dass etwa auch die deutsche Regierung dies nicht tatenlos beobachten würde.


    Ganz allgemein ist anerkannt, dass sich eine als rechtmäßig (und dazu als besonders vertrauenswürdig geltende - s.o.) anerkannte Staatsmacht sich gegen einen bewaffneten Putsch zur Wehr setzt. Allerdings nicht eine arabische. Da werden alle im Westen geltenden Regeln im Nu vom Tisch gewischt!


    Zwangsläufig wird das Ansehen der westlichen "Aggressoren" in der arabischen Welt sinken - und das möglichweise zu Recht. Meiner Einschätzung nach droht nun Terror in ungeahntem Ausmaß. Niemand wird verstehen können, dass eine rechtmäßige Regierung zur unrechtmäßigen wird, wenn sie sich gegen einen Umsturzversuch wehrt - und zwar ausschließlich dann, wenn es sich um eine arabische handelt. Würde sich eine westliche - wie etwa die deutsche - Regierung gegen einen Umsturz verteidigen, gäbe es sich keinen Eingriff von außen; und wenn dann nur pro Regierung.


    Ich will den libyschen Staatchef auf gar keinen Fall verteidigen - das läge mir völlig fern. Es liegt aber ganz offensichtlich auf der Hand, dass der Westen wieder einmal mit zweierlei Maß misst. Damit verliert die "Weltpolizei", die man zu installieren versucht, komplett ihre Glaubwürdigkeit. Das allerdings zu Recht.


    Frankie

  • Wenn ein Vater sein Kind zusammen schlägt, sollte man eingreifen? Oder lieber nicht, weil er als sehr streng bekannt war, seinem Kind gelegentliche Klapse gab und man ihm Ratgeber für autoritäre Erziehung geschenkt hatte?





    Was dort passiert ist ein Umbruch, aber in erster Linie ein Verstoss gegen Völkerrecht. Das man lange genug weg gesehen hat, ist traurig genug.

    Ich erhoffe nichts. Ich fürchte nichts. Ich bin frei.

  • Frankie, das Völkerrecht ist inzwischen wesentlich weiter, als Du es hier beschreibst.


    Die deutsche Regierung hat deshalb nicht zugestimmt, weil die Gefahren des Einsatzes als sehr hoch eingeschätzt werden und im Auswärtigen Amt befürchtet wurde, dann auch in anderen Staaten eingreifen zu müssen. Hinzu kommen noch einige banale Überlegungen, insbesondere dazu, ob die Deutschen das überhaupt so ohne weiteres können. Wir haben ja keine Stützpunkte, wie es die Briten oder Franzosen haben.


    Ein Vergleich zwischen Demos in Heiligendamm und einem Bombardement der eigenen Bevölkerung ist mE ein bisschen weit hergeholt. Hier geht es um qualitativ völlig unterschiedliche Dinge.

    Ich will immer Herbst. Ich will immer Küste. Ich will immer Norden.

  • Hätte die Polizei in Heiligendamm in die Menge geschossen und danach die Familien der Demonstranten hingerichtet, um im Anschluss alle SPD Wähler zu foltern, wären wir sicher auch froh über ein Engagement der Anrainerstaaten das über formelle Protestnoten und verdrehen von Augen hinaus geht.

    Ich erhoffe nichts. Ich fürchte nichts. Ich bin frei.

  • Zitat

    Original geschrieben von frank_aus_wedau
    Die Glaubwürdigkeit der westlichen Politik steht auf sem Spiel

    So wie es wohl aussehen soll, ist es nicht primär westliche Politik, sondern ein Hilferuf der libyschen Oppositionellen und der Arabischen Liga an die Welt, und mutmaßlich beteiligen sich auch arabische Staaten an der Militäroperation. Ob das in der Bevölkerung dort auch so aufgenommen wird, ist eine andere Frage.

  • Ich sage doch überhaupt nicht, dass der Einsatz in Libyen keine völkerrechtliche Rechtfertigung hat - ich bleibe allerdings dabei, das aus Sicht weiter Teile der arabischen Weltbevölkerung mit zweierlei Maß gemessen wird. Und das sehe auch ich so. Die libysche Regierung war lange nicht mehr rechtmäßig - der jetzige Schwenk um 180° dürfte nur schwer zu vermitteln sein - in einer Form, die man im Nahen Osten auch versteht. Die Fehler wurden in der Vergangenheit begangen - und diese Fehler machen die Gegenwart nicht glaugbwürdig.


    Und zudem: Das Völkerrecht insgesamt ist westlich geprägt. Auch hier sage ich nicht, dass es falsch ist. Wenn die arabische Weltbevölkerung (und das ist nicht nur die Arabische Liga und die libysche Opposition) das Gefühl hat, dass ihr ein westlich geprägtes Recht "übergestülpt" wird, kann das fatale Folgen haben - völlig unabhängig von der Qualtität des Rechts.


    So bitter es auch sein mag: Der beabsichtigte "Schuss" der Gutmenschen kann am Ende nur nach hinten losgehen - das zeigen doch wohl die Erfahrungen aus der Vergangenheit. Greift man in Libyen militärisch ein, wird man das Land nicht wieder verlassen können. Über diese Option wird inzwischen ernsthaft diskutiert. Bei Luftschlägen allein wird man es nicht belassen können. Auch das wird durch die Vergangenheit eindrucksvoll belegt.


    Frankie



    Erg.:
    Falls jemand zufällig aktuellen Kommentaren von Peter Scholl-Latour begegnet (er wird sich in der Folge betimmt häufiger zu Wort melden) , wäre es nett, wenn er ihn hier verlinkt. Ich denke, dass auch Herr Scholl-Latour die Zukunft sehr kritisch beobachten wird.

  • Ich bin froh, dass die großen Zeitungen ähnlich kritisch sind. Der Spiegel, ja eher links orientiert, kritisiert das Drückebergerverhalten Deutschlands ebenso wie die FTD (mittlerweile auch eher mitte-links):


    "Die internationale Staatengemeinschaft beschließt ein militärisches Vorgehen gegen Gaddafi. Auch Deutschland ist dafür. Verbal. Denn jetzt, da es hart auf hart kommt, müssen es wieder einmal die anderen Länder richten. Die Bundesrepublik drückt sich" (ftd.de)


    Ich bin froh, dass dieses Deutschland keinen ständigen Sitz im Sicherheitsrat hat! Und so verdient es sich auch niemals einen. Sogar der Übersetzer des "libyschen Außenministers" konnte sich bei Deutschland einen Lacher nicht verkneifen, als er die Enthalter-Staaten nannte ("...und natürlich Deutschland *lach*"). Unsere Dagegen-Republik verkommt zum Witz-Staat.

    »Wer Sicherheit der Freiheit vorzieht, ist zu Recht ein Sklave« (Aristoteles)

  • Was mich an der Sache stört ist, dass man nun bei einem kleinen Land wie Libyen eingreift (durchaus berechtigt), aber wenn in China mal wieder Demonstranten von der Armee niedergeknüppelt und mundtot gemacht werden, der Westen allerhöchstens kurz den Zeigefinger hebt und droht für einen Tag lang keinen Reis mehr zu essen.

  • China hat zum Glück schon länger nicht mehr die eigene Bevölkerung bombardiert. Und wenn zB Großbritannien in China militärisch eingreifen würde, dann hätten wir den dritten Weltkrieg.


    Solche Aktionen sind immer eine Abwägungssache, man kann da keine festen Regeln aufstellen, auch wenn Deutsche dazu einen extremen Hang haben.

    Ich will immer Herbst. Ich will immer Küste. Ich will immer Norden.

  • In einem Blog habe ich folgenden Kommentar gefunden:


    "Früher hat man Diktatoren eine Villa an der cote d'azur angeboten. Dort konnte er bis ans Lebensende als freier Mensch leben.
    Heute, wie Scholl Latour richtig sagt, droht man ihm mit dem Bunker, einer Anklage wegen Verbrechen. Der gibt jetzt natürlich sein ganzes Geld für Waffen aus und kämpft ..."


    Ich könnte es nicht besser formulieren; auch in meinen Augen ist im Wesentlichen diese Ankündigung westlicher Gutmenschen verantwortlich für das Massaker in Libyen - er danach hat der Ditator richtig losgeschlagen. Eine Entwicklung, die jeder intelligente Mensch hätte vorhersehen können!


    Gaddafi hatte Medienberichten zufolge - die ich für logisch und glaubhaft halte - ernsthaft erwogen, ins Exil zu gehen. Diese Möglichkeit hat man ihm genommen ... und welche Möglichkeiten ihm dann noch blieben, liegt doch auf der Hand.


    Niemand kann doch allen Ernstes erwarten, dass er sich freiwillig verhaften lässt - wie dämlich muss man sein, um das zu glauben?


    Frankie

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