Witali Klitschko war geschockt, Lennox Lewis freute sich über verfrühte Weihnachten und den Verantwortlichen des amerikanischen Fernsehsenders HBO fiel ein dicker Stein vom Herzen.
Nachdem sämtliche Beteiligte über Monate hinweg vornehmlich per Anwälte, Richter und einstweilige Verfügungen kommunizierten, ging plötzlich alles sehr schnell: Lewis wird am 21. Juni in Los Angeles seinen Weltmeistertitel des Boxverbandes WBC gegen den "großen" Klitschko verteidigen und im Falle eines Sieges seine Karriere voraussichtlich im November gegen den Amerikaner Roy Jones jr. beenden. Klitschko sprang kurzfristig für den Kanadier Kirk Johnson ein, der sich vor einigen Tagen beim Training einen Riss im linken Brustmuskel zugezogen hatte.
"Ich war überrascht, als Lennox sich Johnson als Gegner aussuchte. Ich war überrascht, als sich Johnson verletzte. Jetzt bin ich mehr als überrascht. Am 21. Juni erfüllt sich mein Lebenstraum. Das wird ein Superfight", sagte ein sichtlich erstaunter Klitschko (32 Siege, eine Niederlage, 31 KOs), der sich seit Wochen in Los Angeles auf den ursprünglich geplanten Fight
gegen den ungeschlagenen US-Profi Cedric Boswell vorbereitet.
Zumindest sein Coach Fritz Sdunek sieht im kurzfristigen Gegnertausch kein unlösbares Problem. `Jetzt werden wir halt ein wenig an der Taktik ändern und die Sparringspartner gezielt auf Lewis ausrichten. Ansonsten haben wir ohnehin auf einen 12-Runden-Kampf hintrainiert. Außerdem hat Lewis dasselbe Problem", sagte er dem Sport-Informations-Dienst (sid).
Lewis (40 Siege, zwei Niederlagen, ein Unentschieden, 31 KOs) vollzog unterdessen elegant ein weiteres Mal eine verbale Kehrtwende um 180 Grad. Nachdem sich der Champ noch vor wenigen Wochen vehement um einen Showdown mit Klitschko drückte, avancierte der Wahl-Hamburger plötzlich zum Wunschgegner: "Dieser Kampf ist ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk. Jetzt kann ich in diesem Jahr doch noch zweimal in den Ring steigen." Dennoch schickte Lewis auch eine gewohnt vehemente Kampfansage an Klitschko: `Dieser Kampf wird nicht über volle Distanz gehen. Für Überstunden werde ich nicht bezahlt", tönte der 37-Jährige: "Klitschko ist eine große Gefahr, aber am 21. Juni wird er sehen, was es bedeutet, gegen einen echten Champion zu kämpfen."
Sein ursprüngliches Ziel - zwei üppige Zahltage zum Ende der Karriere - dürfte der geschäftstüchtige Brite allerdings um einige Millionen verfehlen. Mit einem Schwergewichts-Titelkampf ohne amerikanische Beteiligung lässt sich in den USA nach wie vor kaum Geld verdienen. Folgerichtig werden Lewis und Klitschko nicht im Bezahlfernsehen, sondern `nur" beim Sender HBO kämpfen.
Dort wurde die Nachricht vom vorzeitigen Aufeinandertreffen der beiden Europäer mit sichtlicher Genugtuung zur Kenntnis genommen. Der Vorverkauf für den Kampf im Staples Center von Los Angeles - Lewis gegen Johnson als Headliner, Klitschko gegen Boswell im Vorprogramm - lief mehr als schleppend, jetzt dürfen die Verantwortlichen zumindest auf eine volle Arena hoffen.
Die Sympathien im Hause HBO werden unterdessen wohl Lewis gehören. Nachdem Publikumsmagnet Mike Tyson eine Revanche gegen Lewis ausschloss, steht mit Roy Jones jr. nur noch ein zugkräftiger Gegner zur Verfügung. Die Abschiedsgala von Lewis könnte allerdings an einem weiteren Oldie scheitern. Angeblich steht Evander Holyfield kurz vor Vertragsabschluss mit Jones jr, der Kampf soll am 4. Oktober im New Yorker Madison Square Garden stattfinden.