EU Verfassung Frankreich: "Non" statt "Oui" - Meinungen dazu?

  • Die europäische Verfassung würde bei Inkrafttreten keinesfalls die Länderparlamente (die danach sogar über jede Gesetzesinitiative informiert werden müssen und mit einer Drittelmehrheit eine erneute Überprüfung durch die Kommission veranlassen können) quasi überflüssig machen oder Europa zu einem Land werden lassen, sondern letzteres ganz im Gegenteil, denn eines der obersten Prinzipien der Verfassung ist das Prinzip der Subsidiarität und der Vielfältigkeit. Ausschließliche Unionsangelegenheiten sind dabei nur Zollunion und Handelspolitik, geteilte Zuständigkeiten gibt es z.B. in den Politikfeldern des Verkehrs, Verbraucherschutzes, Umwelt, Landwirtschaft, Energie und Binnenmarkt, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und einigen anderen, der Rest (z.B. Tourismus :D ) ist/bleibt in nationaler Zuständigkeit. Die gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik wird weiter als gemeinsames Feld betrachtet und in diesem vorangetrieben.


    Ich persönlich denke schon, daß die Verfassung z.B. mit der Beteiligung des Europäischen Parlamentes an der Gesetzgebung die EU auf demokratischere Füsse als bisher stellt und es außerdem Sinn macht, durch die Neudefinition des Gewichtungssystems der "qualifizierten Mehrheit" die Sperrminoritäten heraufzusetzen, die bisher vor allem mittelgroßen Ländern ein überproportional hohes Gewicht zugeteilt hat.


    Die Verfassung hat sicherlich auch Schwachpunkte und Fragezeichen und ob eine gemeinsame Verteidigungspolitik wirklich sein muß, kann auch diskutiert werden, aber man darf das ganze als Protestwähler auch nicht überbewerten, denn zunächst werden mit der Verfassung nur bestehende Verträge in einen verständlichen und einheitlichen Verfassungsvertrag (es ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der weiterhin von jedem Mitgliedsstaat aufgekündigt werden kann) zusammengefasst und inhaltlich an einigen wichtigen Stellen nachgebessert. Die inhaltlichen, integrativen und die Erweiterung betreffenden Fragen liessen sich ja bisher auch ohne Verfassung verwirklichen, sie ist also keine Voraussetzung für die kritisierten Schritte der EU. Der neue Aussenministerposten z.B. bestand ja de fakto schon mit Solana und Ferrero-Waldner, wird nur jetzt eben als ein Posten offiziell etabliert und so ist das in den meisten anderen Bereichen auch. Keinesfalls kann durch die Europäische Verfassung z.B. unser Grundgesetz abgeschafft werden, denn dieses hat ja bekanntlichweise Ewigkeitscharakter und auch in den anderen Ländern bleiben die Verfassungen bestehen. :)

  • Zitat

    Original geschrieben von Crashman


    Meiner Meinung nach ist das Wahlergebnis durch mehrere Faktoren zustande gekommen:


    a) Protestwahl (gegen die Innenpolitik der Regierung)
    b) Nationalstolz
    c) Schlechte Aufklärung/Desinteresse


    Ich finde es absolut richtig und sinnvoll, bei dieser wichtigen Frage ein Referendum abzuhalten - abgesehen davon, dass dies sowieso in der französischen Verfassung verankert ist.


    Die Entscheidung, die über Jahrzehnte gewachsene Verfassung des eigenen Landes für eine unausgereifte EU-weite Verfassung über Bord zu werfen, halte ich persönlich für sehr bedenklich.


    Die Aufklärung war meiner Erfahrung nach sehr gut, da dieses Thema in den letzten Monaten (!) die französischen Medien und den Alltag beherrscht hat.


    Natürlich kann man jetzt mit einer "Protestwahl" argumentieren, allerdings gehört dies nun mal zu Volksabstimmungen dazu, und nicht zuletzt steht die Regierung Chirac für eine gemeinsame EU-Verfassung.


    Ich hätte mir gemäß Westerwelle eine ähnliches Referendum auch in Deutschland gewünscht, vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt, allerdings mit möglichst ähnlicher hoher Aufklärung wie bei den Franzosen.

    Komm aus deiner Höhle, komischer Vogel!

  • Zitat

    Die Entscheidung, die über Jahrzehnte gewachsene Verfassung des eigenen Landes für eine unausgereifte EU-weite Verfassung über Bord zu werfen, halte ich persönlich für sehr bedenklich.


    Unser Grundgesetz war auch mal jung und irgendwann muss man alte Sachen über Bord werfen um sich für neue zu öffnen.


    MfG

  • Zitat

    Original geschrieben von Crashman
    Unser Grundgesetz war auch mal jung und irgendwann muss man alte Sachen über Bord werfen um sich für neue zu öffnen.


    Das Grundgesetz wird aber nicht über Bord geworfen, das geht zum einen gar nicht und zum anderen brauchen wir es ja auch mit einer europäischen Verfassung noch. :)

  • Möchte hier ja nicht so mit reden da ich eh noch nicht abstimmen gehen muss (hier in Lux. muss man ja gehen) und auch nicht so viel davon verstehe, aber ich würde jetzt mal sagen das Luxemburg auch nein wählt.


    Weil hier haben viele gesagt "Wenn Frankreich nein sagt, sagen wir auch nein, dann sind wir nicht alleine und die bösen dabei"...
    Aber sie haben hier nur ein Gedancke im Kopf: "Uns kann es ja nur schlechter gehen." Ich weiss wirklich nicht was für Vor- und Nachteile das ganze hat, aber ich würde auch nein sagen, da man hier sehr gesagt bekomt, dass es uns ja gut geht, warum das ändern. :rolleyes: Mal abwarten wie es nun weiter geht...


    Gruss

  • Zitat

    Weil hier haben viele gesagt "Wenn Frankreich nein sagt, sagen wir auch nein, dann sind wir nicht alleine und die bösen dabei"...


    Manchmal denke ich mir, die Leute haben die Demokratie nicht verdient.


    MfG

  • Abgesehen davon was die EU langfristig mit sich bringt, denke ich, dass dieses so ungeliebte Gebilde seit 60 Jahren keinen Krieg innerhalb der EU mehr zugelassen hat.


    Das ist doch das Wertvollste was Europa seit langer Zeit zu bieten hat und sollte bei der Türkeifrage (primär bin ich zur Zeit natürlich auch dagegen) zumindest sekundär berücksichtigt werden.

  • Zitat

    Original geschrieben von BigBlue007
    Vielleicht hatten die Franzosen ja doch so viel Durchblick, dass sie ganz bewusst gesagt haben, dass sie genau dies nicht sehen wollen. Und das sehe ich genauso. Wenn ich mir die 25 Mitgliedsstaaten anschaue, dann will ich ehrlich gesagt in absehbarer Zeit nicht sehen, dass Länderparlamente nur noch eine untergeordnete Rolle spielen und bei so Sachen wie Militär mit einer Sprache gesprochen wird. Schon bei dem Gedanken daran wird einem grauselig... :eek: :D


    Der "Fehler" liegt IMHO zu einem großen Teil auch darin daß die EU inzwischen vor allem als Wirtschaftsbündnis und Regulator gemeinsamer Gesetzesvorgaben gesehen wird/fungiert.


    Die ursprüngliche Idee der Gründerväter war aber eine Gemeinschaft zu schaffen, die außerdem gemeinsame Werte, sogar ähnliche Kulturen, hat.


    Mit dem Beitritt mancher (osteuropäischer) Länder im letzten Jahr und erst Recht wenn auch noch Rumänien, Bulgarien oder, als i-Tüpfelchen die Türkei, zur EU stossen wird die Idee einer gemeinsamen Kultur aber vollends unterhöhlt.


    Und darin liegt auch das große Problem: aufgrund der kulturellen Unterschiede und auch allein aufgrund der Größe wird es der EU immer weniger möglich sein alle Mitglieder unter einen Hut zu bringen und mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen, z. B. wenn es darum geht eine gemeinsame aussenpolitische Linie zu fahren.


    Ich denke daß bei den Franzosen eine Menge Nationalstolz und Kritik an der bestehenden Regierung den Ausschlag für das Wahlergebnis gegeben hat. Aber man kann es auch als generelle Kritik an einer zu groß werdenden EU verstehen, die die Leute einfach nicht wollen. Und deswegen hat man jetzt sozusagen in einer EU-Abstimmung mit "nein" geantwortet.


    In den Niederlanden hat es nach dem Mord an einem Filmemacher, der einen kritischen Film über Islamisten gemacht hat, heftige Aufruhr und Diskussionen um den Umgang mit Islamisten gegeben.
    Dieses und die oben angeführten Gründe könnten dazu führen daß auch die Niederländer aus einer Art "Nationalbewußtsein" heraus gegen die EU-Verfassung stimmen.

    Ich dachte immer es sei technisch unmöglich mit jemandem Sex zu haben, der Dörte heißt...

  • Ich hoffe, daß jetzt noch mehr Länder gegen die Verfassung stimmen.


    Es geht hier im Endeffekt weniger um die Verfassung selber, sondern darum den EU- und Regierungsverantwortlichen endlich mal zu zeigen, daß das Volk etwas anderes will als die Bürokraten.


    Die EU wird ohne Rücksicht auf Verluste um Länder erweitert, die weder die rechtsstaatlichen noch wirtschaftlichen Vorraussetzungen eines Mitgliedslandes erfüllen.
    Hinzu kommen Verhandlungen mit Staaten, die meiner Meinung nach nicht grade ins humanistische europäischen Menschenbild passen.
    Diese Staaten können für mich als nahestehende Partner an der EU hängen, aber keine Vollmitglieder werden.


    Und vorallem wird eine Beteiligung der Bevölkerung ausgeschlossen.

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    Ericsson T39m
    Legends never Die!
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  • Genau das denke ich auch.


    Wir haben es in 15 Jahren ja schon innerhalb unseres eigenen Landes nicht geschafft, die Verhältnisse im Osten und Westen auf ein einheitliches Level zu bringen, und inzwischen hat auch jeder begriffen, dass das auch in weiteren 15 Jahren noch nicht vollständig so sein wird. Und das, obwohl sich die Deutschen beiderseits der ehemaligen Grenze ansonsten bzgl. Mentalität, Wertvorstellungen usw. kaum unterscheiden.


    Und in diesen Verhältnissen sollen wir als Nettozahler Milliarden von Euros gen Osten pumpen, solange, bis die irgendwann mal in vielen Jahrzehnten vielleicht einen ähnlichen Lebensstandard haben wie wir hier? Was eh utopisch ist, wenn man bedenkt, dass es selbst in vielen Alt-EU-Ländern nach wie vor üble Verhältnisse gibt (man denke an bestimmte Gegenden in Spanien, Italien usw.)...


    Sorry, da kann man mich ruhig auch für egoistisch halten, aber ich kann nicht befürworten, dass unsere Steuergelder in Länder fliessen, die aufgrund der Liberalisierung des Arbeitsmarktes gleichzeitig den hiesigen Markt kaputtmachen. Ich erachte das komplette Konzept der EU derzeit als gescheitert.


    Wirklich übel ist, dass man derartige Vorstellungen hierzulande bei keiner politischen Seite außer der Ultrarechten oder -linken wiederfindet, und das ist natürlich auch keine Alternative...


    In diesem Zusammenhang sei nochmal daran erinnert, dass die derzeitige Regierung an dem Ganzen nun wahrlich kaum eine Schuld trifft - olle Kohl und seine Mannen als DIE EU-Fans schlechthin haben da deutlich größeren Anteil dran.

    Ist das eine von den Kirchen, wo man so kleine Cracker kriegt? Ich habe Hunger!

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