Die europäische Verfassung würde bei Inkrafttreten keinesfalls die Länderparlamente (die danach sogar über jede Gesetzesinitiative informiert werden müssen und mit einer Drittelmehrheit eine erneute Überprüfung durch die Kommission veranlassen können) quasi überflüssig machen oder Europa zu einem Land werden lassen, sondern letzteres ganz im Gegenteil, denn eines der obersten Prinzipien der Verfassung ist das Prinzip der Subsidiarität und der Vielfältigkeit. Ausschließliche Unionsangelegenheiten sind dabei nur Zollunion und Handelspolitik, geteilte Zuständigkeiten gibt es z.B. in den Politikfeldern des Verkehrs, Verbraucherschutzes, Umwelt, Landwirtschaft, Energie und Binnenmarkt, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und einigen anderen, der Rest (z.B. Tourismus ) ist/bleibt in nationaler Zuständigkeit. Die gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik wird weiter als gemeinsames Feld betrachtet und in diesem vorangetrieben.
Ich persönlich denke schon, daß die Verfassung z.B. mit der Beteiligung des Europäischen Parlamentes an der Gesetzgebung die EU auf demokratischere Füsse als bisher stellt und es außerdem Sinn macht, durch die Neudefinition des Gewichtungssystems der "qualifizierten Mehrheit" die Sperrminoritäten heraufzusetzen, die bisher vor allem mittelgroßen Ländern ein überproportional hohes Gewicht zugeteilt hat.
Die Verfassung hat sicherlich auch Schwachpunkte und Fragezeichen und ob eine gemeinsame Verteidigungspolitik wirklich sein muß, kann auch diskutiert werden, aber man darf das ganze als Protestwähler auch nicht überbewerten, denn zunächst werden mit der Verfassung nur bestehende Verträge in einen verständlichen und einheitlichen Verfassungsvertrag (es ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der weiterhin von jedem Mitgliedsstaat aufgekündigt werden kann) zusammengefasst und inhaltlich an einigen wichtigen Stellen nachgebessert. Die inhaltlichen, integrativen und die Erweiterung betreffenden Fragen liessen sich ja bisher auch ohne Verfassung verwirklichen, sie ist also keine Voraussetzung für die kritisierten Schritte der EU. Der neue Aussenministerposten z.B. bestand ja de fakto schon mit Solana und Ferrero-Waldner, wird nur jetzt eben als ein Posten offiziell etabliert und so ist das in den meisten anderen Bereichen auch. Keinesfalls kann durch die Europäische Verfassung z.B. unser Grundgesetz abgeschafft werden, denn dieses hat ja bekanntlichweise Ewigkeitscharakter und auch in den anderen Ländern bleiben die Verfassungen bestehen.