Libyen und Gaddafi

  • Zitat

    Original geschrieben von frank_aus_wedau
    1. Die grundsätzliche Staatsform in Lybien ist die einer (sozialistischen) Demokratie. Ich habe nicht geschrieben, dass sie westlichen Ansprüchen genügt. Zudem habe ich darauf hingewiesen, dass der Despot Gaddafi sich über demokratische Regeln hinwegsetzt und relativ rücksichtslos eigene Interessen verfolgt.
    Wer das nicht weiß, sollte sich entsprechend informieren, anstatt hier zu polemisieren.


    Das hat nichts mit polemisieren zu tun, sondern mit dem Aussagengehalt. Die DDR war nach der ersten Verfassung auch ein demokratischer Rechtsstaat (auch die spätere Verfassung nennt Bürgerrechte und Meinungsfreiheit)- die Verfassungswirklichkeit war aber eine ganz andere.
    In Libyen sind durch die Revolutionskommitees und den Führer der Revolution faktisch die scheinbaren und/oder tatsächlichen demokratischen Strukturen weitgehend irrelevant.


    Zitat


    2. Den Serben im Balkankrieg war doch nicht ausschließlich daran gelegen, einen Aufstand niederzuschlagen, der die Regierung stürzen will. Die Serben veranstalteten eine Art "ethnischer Säuberung", indem sie einen Genozid an dem bosnischen Teil der Bevölkerung praktizierten. Entsprechendes lief im Kosovo.


    Ich halte es für bedauerlich, wenn solche unpassenden Vergleiche herhalten müssen. Auch hier hilft ein wenig Lektüre, um diese Wissenslücke zu füllen.


    Die Serben in Gestalt der serbisch kontrollierte Jugoslawische Volksarmee sind -parallel deiner Postulation der legitimen Niederschlagung eines Aufstandes in Libyen- ganz legitim gegen illegale Aufstände bzw. Sezessionsbestrebungen vorgegangen. Und sog. 'ethnische Säuberungen' haben Serben, Kroaten wie auch Bosniaken betrieben. Sie wären alle überhaupt nicht nötig gewesen, wenn sich einfach alle der rechtmäßigen Regierung Jugoslawiens und den Serben untergeordnet hätten- aber der Westen und die UN haben sich ja in die inneren Angelegenheit Jugoslawiens einmischen müssen.


    Und im Kosovo hat die serbische Regierung ganz legitim Aktionen gegen bewaffnete Aufständische (UCK) durchgeführt.


    So könnte ich -ganz in deiner Linie- jedenfalls argumentieren. Nur irgendwie passt das nicht mit der Wirklichkeit zusammen- weder in Jugoslawien noch in Libyen...

  • Zitat

    Original geschrieben von frank_aus_wedau
    Ich erlaube mir daran zu erinnern, dass Ziel der UN-Resolution nicht die Absetzung des Regimes Gaddafi ist, sondern ausschließlich der Schutz der Zivilbevölkerung.


    Und Gaddafi "beschützt" die Zivilbevölkerung? Oder hat er vor der Resolution sein eigenes Volk mit Flugzeugen angegriffen?


    Deine Sichtweise in einigen Dingen ist schon sehr befremdlich...

  • Für den Inhalt der UN-Resolution bin doch nicht ich verantwortlich. Ich gebe hier lediglich den Inhalt wieder, wie er von der UN beschlossen wurde.


    Die Resolution dient ausdrücklich nur dem Schutz der Zivilbevölkerung und enthält darüber hinaus keinerlei Ermächtigung, in die Kriegshandlungen zugunsten des einen oder des anderen einzugreifen. Die derzeitige Resolution nimmt offensichtlich auch den Fall in Kauf, dass die Armee Gaddafis den Bürgerkrieg letztendlich gewinnt (was in meinen Augen durchaus möglich scheint).


    Und hier sind wir wieder bei der UN. Die UN ist dafür verantwortlich, dass die Allianz der Willigen nicht aktiv zugunsten der Aufständischen in das Kriegsgeschehen eingreifen darf - woran sie sich bisher im wesentlichen auch hält. Die UN-Resolution ist mithin dafür verantwortlich, dass das Kriegsgeschehen in einen sehr langwierigen und blutigen Grabenkrieg übergeht bzw. schon übergegangen ist. Und diese Folge halte ich für menschenverachtend.


    Während die NATO im Balkankrieg aktiv in die Kriegshandlungen eingegriffen hat, sieht es in Libyen anders aus:


    Die NATO schwächt immer nur die Truppen Gaddafis, soweit sie die Überhand zu gewinnen drohen. Daraus resultiert dann wieder ein paritätisches Kräfteverhältnis. Solange dieses von der NATO künstlich aufrecht gehaltene paritätische Verhältnis besteht, kann der Krieg aber nicht enden. Es besteht also ein deutlicher Unterschied zum Balkankrieg.


    Vielleicht gibt es hier einige wenige, die einsehen, dass dieses künstliche Aufrechterhalten des Kriegszustandes der Bevölkerung eben nicht dienlich ist.


    Es gibt zwei Alternativen, die den Krieg und damit das Sterben von Zvilisten beenden können: "Sekt oder Selters", wie man oft passend sagt. Ich verstehe nicht, warum hier niemand versteht, dass der von der UN vorgegebene dritte Weg, die Kampfhandlungen durch die bloße Schwächung der Truppen Gaddafis aufrecht zu erhalten, der denkbar schlechteste ist.


    Und noch einmal: Nicht ich bin für dieses Dilemma verantwortlich. Und daher nehme ich mir das Recht, die Entscheidung des Sicherheitsrats heftig zu kritisieren. Selbst ein "Gaddafi muss weg, aber schnell"-Mandat wäre im Ergebnis humaner gewesen als das derzeitige.


    Ich verstehe absolut nicht, warum das niemandem hier einleuchtet ... :confused:


    Frankie

  • Zitat

    Original geschrieben von Pfalzbuy
    Das du und andere in ihren Postings gegen die Aktionen der USA und der NATO hetzen ist ja das eine, aber [...]


    Ich habe lediglich auf einen Widerspruch hingewiesen, der sich daraus ergibt, dass "der Westen" immer sehr schnell mit Militäraktionen bei der Hand ist, wenn es um rohstoff- und energiereiche Länder geht oder um Gebiete von hoher strategischer Bedeutung, während man sich ansonsten sehr lange und vornehm zurückhält, wenn in einem Land zwar eine brutale Diktatur herrscht, aber ansonsten weder wirtschaftliche noch militärische Interessen des Westens besonders berührt werden.


    Im Fall Libyens hat man sich seitens des Westens augenscheinlich dazu entschlossen, den Kriegsparteien dabei zuzuschauen, wie sie sich gegenseitig schwere Verluste zufügen. Das ist sicherlich eine sehr ökonomische Handlungsweise, denn der Sieger wird am Ende so abgekämpft und das Land so zerstört sein, dass man im Gegenzug für westliche "Wiederaufbauhilfe" viele Jahre lang das Öl zu Vorzugskonditionen wird sprudeln lassen können. ;)


    Wer ernsthaft unterstellt, dem Westen gehe es in Libyen (oder anderswo auf der Welt) um Menschenrechte, Schutz der Zivilbevölkerung und den schnellen Sturz eines brutalen Diktators, der glaubt vermutlich auch noch an den Weihnachtsmann, den Osterhasen, den Klapperstorch und die Zahnfee. :D Dem Westen geht es einzig und allein darum, die Firmen, auf deren Gehaltslisten die meisten unserer Politiker mittlerweile stehen, möglichst profitabel zu halten, Absatzmärkte für westliche Produkte (gerne auch Waffen, bringen schließlich viel Geld und hohe Gewinne) sowie möglichst viele Arbeitsplätze und Wohlstand bei uns im Westen zu sichern, um die eigene Bevölkerung bei Laune zu halten.


    Ehrlich gesagt finde ich das völlig verständlich, schließlich ist sich jeder selbst der Nächste. Oder anders ausgedrückt: was kümmern mich ein paar hundert oder tausend Tote irgendwo in Afrika, in Asien oder Südamerika, solange ich zu bezahlbaren Preisen mein Auto betanken, in Urlaub fliegen, neue Handys (Made in China) kaufen und auch ansonsten prima leben kann? Solange wir uns mittels unserer überlegenen Waffen die Habenichtse aus den ausgebeuteten Ländern vom Hals halten oder sie - noch viel besser! - in ihren eigenen Ländern gegeneinander ausspielen können, ist doch alles in Ordnung. Machen wir uns nichts vor: wären die anderen an unserer Stelle, die würden keinen Deut anders handeln. Man wäre ein Narr, wenn man etwas anderes annähme. Und ein gefährlicher, weltfremder Idealist, wenn man sich anders verhielte.


    Oder wäre man ein anderes Verhalten einfach nur... mitmenschlich? :confused:

    Viele Grüße und einen Happy Day


    Guy Fawkes was the only person ever to enter Parliament with honest intentions.

  • Zitat

    Original geschrieben von frank_aus_wedau
    Während die NATO im Balkankrieg aktiv in die Kriegshandlungen eingegriffen hat,


    Irgendwie vergisst du zu erwähnen, daß es in Bosnien 3 Jahre dauerte bis das geschah. Und offiziell wurde durch Deliberate Force auch nur die Sicherheit von UNPROFOR und der Zivilbevölkerung gesichert. Ferner war das Ergebnis des Bosnienkrieges ein Waffenstillstand und der Vertrag von Dayton- nicht der Sieg irgendeiner Bürgerkriegsseite.


    Und Debatten zum Kosovokonflikt und dem NATO Einsatz sind so zahlreich wie lang. Auf jeden Fall wurden die NATO Angriffe auf Serbien auch auf nicht militärische Ziele ausgeweitet und von schnellen Ergebnissen kann man bei 78 Tagen Luftangriffen auch nicht wirklich sprechen.

  • Zitat

    Original geschrieben von kues
    Irgendwie vergisst du zu erwähnen, daß es in Bosnien 3 Jahre dauerte bis das geschah. ...


    Das ist richtig ... und sehr bedauerlich. :(


    Und daraus resultiert auch meine Befürchtung für Libyen. Auch hier droht ein langwieriger Bürgerkrieg, der Leid auslösen wird, vom dem wir als Generation, die einen Krieg nie persönlich mitgemacht hat, sicher keinerlei realistische Vorstellung haben.


    Das was ich geschrieben habe ... bezieht sich auf das - sicher pragmatische - Ziel, diesen Krieg so schnell wie möglich zu beenden. Und im Gegensatz zu anderen ist es mir dabei ziemlich egal, wer sich dann als "Sieger" feiern darf, obwohl auch er im Ergebnis ein Verlierer ist. Im Krieg gibt es keine Gewinner.


    Und wenn diese Position an Gaddafi geht, soll es mir recht sein ... so bitter das klingen mag. In "meiner" Zeit galt für den (hopythetischen) Fall eines Übergriffs aus dem Osten in meinem engeren Umkreis die Devise "lieber rot als tot". Wenn man nur die Wahl zwischen zwei Übeln hat, war ich immer für das geringere. Und in Sachen Gaddafi hatten schon einmal ökonomische Sanktionen etwas bewirkt ... und hier sehe ich persönlich das geringere Übel für die libysche Bevölkerung ...


    Frankie



    Erg.:
    Und in Bezug auf die UN-Resolution liegt der Hauptpunkt meiner Kritik darin, dass sie in ihrer jetzigen Ausgestaltung den Krieg und das Leiden der Bevölkerung auf unbestimmte Zeit verlängert. Und das kann doch nicht wirklich wünschenswert sein ... und insoweit sehe ich mich noch immer nicht auf dem Holzweg.


    Gegen eine UN-Resolution, die geeignet ist, den Krieg zu verkürzen, hätte ich gar nichts einzuwenden ... die aktuelle ist m.E. dazu aber völlig ungeeignet. Und wie kues zu Recht einwendet: auch auf dem Balkan hatte sich die UN keineswegs mit Ruhm bekleckert. An der Dauer des Balkan-Kriegs ist die UN nicht ganz unschuldig ... obwohl man ihr damals noch zu Gute halten musste, dass sie noch keine Erfahrung im Umgang mit solchen Konflikten hatte. Die gibt es inzwischen aber zu Hauf. Vietman kann in abgemilderter Form auch in Europas Wüsten liegen; ein Urwald ist nicht unbedingt erforderlich - selbst wenn man das nie vermutet hatte.

  • Zitat

    Original geschrieben von frank_aus_wedau
    Und wenn diese Position an Gaddafi geht, soll es mir recht sein ... so bitter das klingen mag. In "meiner" Zeit galt für den (hopythetischen) Fall eines Übergriffs aus dem Osten in meinem engeren Umkreis die Devise "lieber rot als tot".


    Oder getreu dem Motto: Sollen sich doch die anderen die Hände schmutzig machen. Eine rein opportunistische Haltung, die im krassen Gegensatz zu deinen sonstigen Kommentaren steht - dort verlangst du fast immer aktiven Einsatz zum Schutze der Armen und Schwachen. Und interessant, dass in deinem hypothetischen Fall nicht die Verfolgung aufgrund anderer Hautfarbe, Religion o.a. durchgespielt wurde. Aber du hättest dich wahrscheinlich allem angepasst...


    Zitat

    Original geschrieben von frank_aus_wedau Und in Sachen Gaddafi hatten schon einmal ökonomische Sanktionen etwas bewirkt ... .


    Genauso wie bei Hussein, Nordkorea, Kuba, Iran,....? :rolleyes:


    EDIT:
    Und was genau schlägst du denn vor? Eine UN Resolution mit Bodeneinsatz?

  • Zitat

    Original geschrieben von autares
    Oder getreu dem Motto: Sollen sich doch die anderen die Hände schmutzig machen. Eine rein opportunistische Haltung, die im krassen Gegensatz zu deinen sonstigen Kommentaren steht - dort verlangst du fast immer aktiven Einsatz zum Schutze der Armen und Schwachen.
    ...


    Aber nicht um jeden Preis!


    Wenn ich durch meinen aktiven Einsatz mehr Leben zerstöre als ich retten kann, halte ich einen gewissen Pragmatismus durchaus für angebracht (obwohl er mir ansonsten tatsächlich widerstrebt).


    Frankie

  • Es gibt mal wieder Neuigkeiten - ntv/dpa melden folgendes:


    "Die Zweifel am Erfolg des Nato-Militäreinsatzes in Libyen nehmen zu. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hält die Militäroperation des atlantischen Bündnisses in Libyen nicht für ausreichend, um dem Land den Frieden zu bringen. Die ehrliche Antwort laute, für diesen Konflikt gebe es keine militärische Lösung, sagte Rasmussen dem «Spiegel»."


    Also bin ich mit meiner Einschätzung des Militäreinsatzes in Libyen doch nicht allein. Mich hatte ohnehin gewundert, dass die NATO die Führung der Militäraktion übernommen hat. Anfangs gab es neben der Türkei auch etliche andere NATO-Mitglieder, die das abgelehnt hatten. Warum die gegen ihre Überzeugung letztlich dann doch zugestimmt hatten, ist für mich immer noch nicht nachvollziehbar.


    Frankie

  • Präsident Obama hat Schwierigkeiten mit seinem Haushalt.
    Da kann er schlecht einen neuen Krieg verkaufen, wenn Soldaten plötzlich auf ihren Scheck warten müssen.

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