Frage an BWLer - Bilanz eines potenziellen Kunden [Bilanz inside]

  • Hallo zusammen,


    ich habe die Anfrage eines Kunden, für den ich ein größeres IT-Projekt abwickeln soll, Umfang wären etwa 50-70 Manntage.


    Ich habe mir den Kunden mal genauer angesehen und die Bilanzen im Bundesanzeiger studiert.
    Da ich als Informatiker in der BWL nur über Grundkenntnisse verfüge wollte ich hier mal die Experten fragen, was sie von der Bilanz halten und ob man einen solchen Auftrag überhaupt annehmen soll - ich sehe da irgendwie ganz deutlich den Pleitegeier kreisen (auch wenn die Bilanz schon von 2009 ist bin ich mir nicht sicher, ob sich da grundsätzlich was geändert hat).
    Prinzipiell kann mir das Desaster eigentlich egal sein, nur würde ich gerne sicherstellen, dass ich meinen Auftrag auch bezahlt bekomme ;)


    Ihr wundert euch wirklich, warum Eure Eigentumswohnung 400.000 €* 650.000 €** kostet, wenn der Bauherr Ferrari F430 & 458, Porsche Carrera GT & 911 fährt?
    * 2013, ** 2015

  • Also Bilanz lesen ist so eine Sache, aber da sieht es wirklich nicht rosig aus. Gerade wenn man die Gesamtbilanzsumme sieht und dann den Fehlbetrag, der fast gleich hoch ist... aua.


    Und dann kommt noch eine Zahlung an euch mit rund der gleichen Summe (ganz grob über den Daumen gepeilt) hinzu, da könnt ihr vermutlich ein wenig drauf warten.


    Idee: Mit Auftragserteilung einen großen Teil der Summe schon einfordern/vereinbaren, sonst kein Arbeitsbeginn... wäre zumindest eine kleine Absicherung nicht ganz leer auszugehen.

  • Wobei die Bilanz auch über 2 Jahre alt ist, da kann sihc natürlich auch Einiges getan haben, sowohl zum Positiven, als auch zum Negativen.

    "You can't connect the dots looking forward, you can only connect them looking backwards. So you have to trust that the dots will somehow connect in your future. You have to trust in something — your god, destiny, life, karma, whatever." Steve Jobs

  • Hast Du auch Zugriff auf die GuV?


    Rein praktischer Rat:
    Teile Deinen Auftrag in Etappen und lass Dich Schritt für Schritt bezahlen.

  • Die Bilanz würde mich jetzt nicht so stutzig machen. Ich habe ebenfalls meine im Bundesanzeiger veröffentlicht, und die sieht auch seit Jahren nicht besser aus, muß aber sagen, meine GmbH hat ausschließlich bei mir Verbindlichkeiten (das FA hat vor Jahren schon mal geprüft ob nicht eine verdeckte Einlage vorliegt). Viellmehr würde ich über folgendes Nachdenken:


    Die Billanz ist aus 2009, die für 2010 hätte bis 31.12.2011 ebenfalls im e-bundesanzeiger veröffentlicht sein müssen. Warum nicht?


    Seit wann gibt es die GmbH und hat ein Geschäftsführerwechsel in den letzten 5 Jahren stattgefunden?


    Wie gut kennst Du den Auftraggeber?


    War der Geschäftsführer der GmbH schon mal in Insolvenzen verwickelt?


    Ist es eventuell möglich, während des Auftrages Abschlagzahlungen zu verlangen?


    Warum will die Firma gerade mit Dir Geschäftsbeziehungen? Bist Du gut (sorry, ist nicht persönlich) oder finden die keinen anderen, weil jeder Angst hat, sein Geld nicht zu sehen.


    Erscheint Dir der Geschäftsführer der GmbH qualifiziert für seine Aufgabe oder könnte dies nur ein Strohmann sein?


    Du hast leider den Anhang nicht komplett veröffentlicht. Steht da irgendwo etwas von Rangrücktritt wegen dem Gesellschafterdarlehen im Insolvenzfalle? Falls ja, kannst Du 200.000 Euro vom Fehlbetrag abziehen um die Bilanz mit anderen Bilanzen von Firmen, die nicht überschuldet sind, zu vergleichen.


    Gib mal den Namen des Geschäftsführers bei "Justizportal-Insolvenzbekanntmachung" ein und schau, ob der Geschäftsführer oder ein sehr naher Familienangehöriger gerade etwas in der Art laufen hat.


    Nach dem neuen Privatinsolvenzrecht ist die Chance bei einer GmbH auch nicht kleiner als von einem Einzelkaufmann (privat haftend) sein Geld zu bekommen! Nämlich gegen 0. Der perönlich haftende Kaufmann kann genauso in Privatinsolvenz, schlimmer noch, er kann in Privatinsolvenz und sich die Firma ausklammern lassen, da er die Gewinne zum Leben braucht! Eine GmbH im Insolvenzfalle ist in der Regel komplett weg vom Fenster, eine neue seriöse GmbH zu gründen ist teuerer als sich für 20 Euro nach oder sogar während einer Privatinsolvenz einen Gewerbeschein wieder zu besorgen!


    Aufpassen würde ich eher bei Ltd. und UGs. Die Risikoabwägung bezüglich eines Zahlungsausfalles würde ich nicht allein auf die veröffentlichte Bilanz stützen, lieber mal bei Creditreform, Bürgel und Kollegen nachfragen, ist allerdings nicht umsonst! Da siehst Du eher was über das Zahlungsverhalten und vor allem die Zahlungsmoral, die geht aus der Bilanz nicht hervor.


    Wenn einer Dich wirklich um Dein Geld prellen will, dann schafft er dies bei der laschen Gesetzgebung auch. Ich habe selber Vollstreckungstitel gegen diverse Schuldner, alle bereits abgeschrieben. Würde ich diese wieder in meiner Bilanz aufnehmen, sähe diese traumhaft aus, täuscht aber dann die Geschäftspartner. Also lebe ich mit meiner schlechten Bilanz und hatte auch noch nie Probleme.


    Ich habe seit 2003 eine ähnliche Bilanz (allerdings "nur" rund 50.000 Euro Fehlbetrag). Da ich keine Verbindlichkeiten habe und das GmbH Konto ohnehin noch nie überziehen konnte und wollte, aber allen Zahlungen ohne Beanstandung nachkam, ist mir persönlich auch egal, das Creditreform mich jedes Jahr anschreibt, warum ich ein negatives Eigenkapital habe. Leasingverträge (Auto) war nie ein Problem, Kreditlieferungen beim Großhandel ebenfalls nie (Geschäftsverbindungen bestehen aber teilweise schon über 20 Jahre) und auch als Neukunde hatte ich noch nie Probleme. Muß aber sagen, ich habe keine eigene Bilanz für den e-Bundesanzeiger, ich stelle jedes Jahr die steuerliche (nach dem Steuerbescheid) ein, kennzeichne diese aber auch als solche. Dies führt dazu, das ich kaum Anlagevermögen habe, da nahezu das komplette Betriebsinventar abgeschrieben ist, diese jedoch einen Zeitwert von nahezu dem Fehlbetrag in der Billanz hat. Das kann man aber alles nicht aus der Bilanz auslesen. Ebenso nicht die Gehälter der Geschäftsführer, ob vielleicht verdeckte Gewinnauszahlungen über erhöhte Mieten an die Gesellschafter, etc. stattfand.


    Ist im Notfall zwar mit viel Ärger für Dich verbunden: Aber. Ich würde sogar mit dieser GmbH lieber Geschäfte machen als mit einer anderen. Diese GmbH sieht nämlich überschuldet aus. Siehst Du also aufgrund Zahlungsunfähigkeit Dein Geld nicht, kannst Du ggfs. eine Durchgriffshaftung auf den Geschäftsführer mit einem guten Anwalt durchsetzen, da der Geschäftsführer die Überschuldung kannte (es wird in der Bilanz sogar darauf hingewiesen, diesen Satz habe ich noch nie so deutlich gelesen, sonderbar???!!!!) und den GF sogar ggfs. wegen Betrugs anzeigen. Dies setzt aber voraus, das Dir die Überschuldung nicht bekannt ist. Kostet Dich aber sehr viel Zeit und Nerven, und Du mußt sehr lange warten, bis Du, wenn überhaupt, Geld siehst!


    Auch wurden 2009 ca. Euro 59.000 von den Gesellschaftern nachgeschossen. War dies echtes Geld oder entstand dies aufgrund von gestundeten (überhöhten) Gehältern. Das kann man alles nicht an dieser Bilanz sehen!


    Schau mal im Bundesanzeiger, seit wann die GmbH Bilanzen eingestellt hat und vergleiche alle.


    Mein persönliches Fazit zu dieser Bilanz (rechtsunverbindlich ohne Garantie): Hier hat einer aus steuerlichen Gründen oder wegen sonstiger privater Probleme (z.B. Unterhaltsverpflichtungen, Umgehung des Meisterzwanges oder Gewerbeuntersagung oder auch weil es mehrere Firmeninhaber sind, die Höhe des Stammkapitals spricht dafür) einen GmbH Mantel zwischengeschaltet, dafür spricht auch, das von den 208.000 Euro Verbindlichkeiten 200.000 Euro bei ihm selber (bzw. Gesellschafter) sind. Der Geschäftsführer weiß sehr genau, das im Insolvenzfalle er ohnehin aufgrund der Überschuldung privat haftet und er dann ggfs. auch in Privatinsolvenz muß. Der GF wird meines Erachtens alles tun, keine Strafanzeige wegen Betrugs zu kassieren, und das geht nur, wenn er bei neuen Verbindlichkeiten weiteres Geld nachschießt, wenn die GmbH nicht zahlen kann. Ist aber nur meine persönliche Meinung.



    Gruß Boris

  • Zitat

    Original geschrieben von Boris1968
    ...
    Die Billanz ist aus 2009, die für 2010 hätte bis 31.12.2011 ebenfalls im e-bundesanzeiger veröffentlicht sein müssen. Warum nicht?
    ...


    Um einen Punkt herauszugreifen:
    das kann in manchen Fällen durchaus üblich sein oder Sinn machen, wenn man gewisse Informationen vor Wettbewerbern zurückhalten will. Ist also nicht unüblich, auch wenn es mögliche zusätzliche Zahlungen nach sich zieht.

  • Re: Frage an BWLer - Bilanz eines potenziellen Kunden [Bilanz inside]


    Zitat

    Original geschrieben von thomasGr Da ich als Informatiker in der BWL nur über Grundkenntnisse verfüge wollte ich hier mal die Experten fragen, was sie von der Bilanz halten und ob man einen solchen Auftrag überhaupt annehmen soll


    Für professionelles Arbeiten mußt Du Deine Zahlungsbedingungen (und ggf. zusätzlich den im Preis enthaltenen Zahlungsausfall- Aufschlag) an die Bonität Deiner Kunden anpassen. Jeder professionelle Lieferant macht das (z.B. Versandhäuser, welche bestimmte Kunden nur gegen Vorkasse beliefern).


    Du brauchst aus meiner Sicht deshalb eine aktuelle Bonitätsauskunft Deines potentiellen Kunden. Das würde ich Dir auch generell vor Annahme von Aufträgen von anderen Kunden raten.


    Du könntest z.B. Creditreform- Mitglied werden (kostet pro Jahr irgendwas um 300€, und pro Auskunft ca. 50€). Glaub mir, diese Ausgabe lohnt sich sehr...
    Tipp: Bestelle Dir einfach mal den Creditreform- Vertreter ins Büro, und lasse Dir ein Angebot machen. Zum kostenlosen Test der Auskunftei ziehst Du dann eine Auskunft Deines potentiellen Kunden. Mindestens die Index- Zahl merkst Du Dir, und recherchierst hinterher deren Bedeutung. Ob Du dann zahlendes Creditreform- Mitglied wirst, ist eine andere Sache...

  • Ein paar Überlegungen:


    - Bilanzierung der Aufwendungen für die Ingangsetzung und Erweiterung des Geschäftsbetriebes und damit Abweichung von Handels- und Steuerbilanz. Das dient der "Verschönerung" der zu veröffentlichenden Bilanz und kostet aber zusätzlich Geld. Dieses ist eigentlich nicht da.


    - Kein qualifizierter Rangrücktritt für das Gesellschafterdarlehen und stattdessen positive Fortführungsprognose.


    - Die positive Fortführungsprognose wäre auch mal interessant zu sehen. Der Verfasser des Anhangs (offensichtlich der Steuerberater) scheint diese Ansicht nicht zu teilen "Die Geschäftsführung geht...". Sowas kann man auch neutraler formulieren. Auch gehört das nicht zwingend in einen Anhang einer Handelsbilanz, sondern ist Bestandteil einer insolvenzrechtlichen Zerschlagungsbilanz. ;-)


    - Die Verluste der Gesellschaft werden seit Jahren durch den Gesellschafter finanziert (ständige Aufstockung des Gesellschafterdarlehens). Es liegt nahe, dass dies unverändert der Fall ist.


    Verlange doch eine Anzahlung bzw. arbeite mit Abschlagsrechnungen bzw. nehme den Gesellschafter finanziell mit ins Boot.

  • Re: Re: Frage an BWLer - Bilanz eines potenziellen Kunden [Bilanz inside]


    Zitat

    Original geschrieben von Goyale
    Du könntest z.B. Creditreform- Mitglied werden (kostet pro Jahr irgendwas um 300€, und pro Auskunft ca. 50€). Glaub mir, diese Ausgabe lohnt sich sehr...


    Creditreform ist viel zu teuer ...


    Ich würde die Mitgliedschaft im VFHI empfehlen (z.B. Fördermitgliedschaft einmalig 75€ und dann pro Kreditabfrage zwischen rd. 7,00 bis rd 27€ - je nach Ausführlichkeit. Der "normale" Creditcheck kostet z.B. 10,71€).

  • Ich würde nichts dergleichen empfehlen. Die werten auch nur weitgehend die veröffentlichten Bilanzen aus und daraus ist genug zu ersehen.


    = Die sind finanziell klamm und zur Überlebensfähigkeit auf weitere Geldspritzen von außen (durch den Gesellschafter) angewiesen (Forderungen, Cash, Vorräte entspricht den kurzfristigen Verbindlichkeiten)


    = keine Substanz (Buchwerte Anlagevermögen)


    = kleiner Laden (Höhe Forderungen, Vorräte und Cash)


    = evtl. mit Zahlungsschwierigkeiten (Bilanz 2010 noch ausstehend und bei der Unternehmensgröße zahlt keiner 2.500 Ordnungsgeld aufgrund unternehmenspolitscher Entscheidungen; immer späte Erstellung der Abschlüsse (vermutlich Rückstellung für 2 Jahresabschlüsse) wohl wegen Zahlungsverhalten; niedriges Cash bei hohen kurzfristigen Verbindlichkeiten).


    = es läuft nicht (andauernde Verluste)


    = aber es läuft halt auch weiter, da immer wieder neues Geld kommt. Die Frage ist, ob aus Cash des Gesellschafters oder aus Finanzierungen???


    = relativ schlechte Bilanzpolitik. Ein Verzicht auf das Gesellschafterdarlehen würde die Gesellschaft von einer Zinsbelastung befreien und das Eigenkapital optisch aufpeppen.Noch etwas frisches Geld in die Kapitalrücklage und das EK wäre positiv. Ein qualifizierter Rangrücktritt + Geld bewirkt im Rating gleiches.

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