Wahl in Schleswig Holstein, Wählerauftrag ?

  • Moin
    vorab: Bitte keinen politischen Diskussionsthread hieraus machen a la rot grün ist Mist, CDU ist toll oder umgekehrt....Danke !!


    Mir geht es vielmehr um folgende Frage: Warum kommen alle auf die Idee, die CDU sei der eigentliche Wahlsieger und sie habe den Wählerauftrag ? (natürlich nicht alle, aber ziemlich viele, selbst der Spiegel hat es fast so formuliert..)


    Die Wahl gewonnen hat doch der, der die meisten Sitze hat. Soweit so gut, bei mehreren Parteien ist das halt nicht immer so eindeutig, siehe in SH. So kommt es also zu Koalitionen und ev. auch Tolerierungen von Parteien, die mehr oder minde rauf einer politischen Wellenlänge liegen. Auch gut. Wenn jetzt SPD, Grüne und SSW zusammengenommen die meisten Sitze haben, dann haben die doch die Wahl gewonnen. Die drei Parteien stehen doch für eine mehr oder minder gemeinsame Politikrichtung. Und diese "Richtung" wird von der Mehrheit der Leute in SH gewünscht, wie es sich im, wenn auch knappen, Ergebnis der Wahl widerspiegelt. Eine CDU/FDP Politikrichtung hat also keine Mehrheit, eine Rot/Grün/SSW Politikrichtung schon. Wo ist also das Problem ? Wie kann man dann solche Aussage treffen ?

    Zitat

    Carstensen kündigte an, bei der konstituierenden Landtagssitzung für das Amt des Ministerpräsidenten zu kandidieren. "Meine Partei und ich haben vom Wähler einen eindeutigen Auftrag dafür bekommen"


    aus dem [url=http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,343051,00.html]Spiegel[/url]


    Ich sehe den Wählerauftrag eher für eine Politikrichtung Rot/Grün/SSW, wenn auch knapp.


    Oder habe ich da jetzt einen Denkfehler ?
    Grüße
    Der Dingens

  • Diese Aussage hat den Hintergrund, daß es in Deutschland quasi Gewohnheitsrecht und "gute Sitte" geworden ist, daß der Wahlsieger (und das ist die CDU) den Ministerpräsidenten stellt, bzw. zumindest das Initialrecht zur Bildung einer Regierung innehat.


    Übrigens: die meisten Sitze hat die CDU, eine Koalition ist ja eine unverbindliche Übereinkunft über gemeinsame politische Ziele, wird ja aber nicht gewählt (auch wenn sich das de fakto fast schon so eingebürgert hat, das vor der Wahl feste Koalitionsaussagen stehen).


    Tolerierte Minderheitenregierungen sind in Deutschland ungewöhnlich und auch nicht sehr sinnvoll, denn die Mehrheit hängt an einer Stimme der kleinsten Fraktion, die dadurch ein völlig überdimensioniertes Gewicht bekommt. Das ist hinsichtlich der politischen Legitimierung bzw. Legitimität problematisch.


    Und der Wählerwille bei deutlichen Zugewinnen der CDU und ebenso deutlichen Verlusten der SPD muß schon eher in die Richtung Wechselwilligkeit gedeutet werden. :)

  • Zitat

    Original geschrieben von andi2511



    Übrigens: die meisten Sitze hat die CDU, eine Koalition ist ja eine unverbindliche Übereinkunft über gemeinsame politische Ziele, wird ja aber nicht gewählt (auch wenn sich das de fakto fast schon so eingebürgert hat, das vor der Wahl feste Koalitionsaussagen stehen).


    Eben, ich gehe davon aus, dass die Wähler der SSW schon wußten, dass sie damit eine Partei wählen, die Rot/Grün näher steht, als Schwarz-Gelb

    Zitat

    Original geschrieben von andi2511
    Tolerierte Minderheitenregierungen sind in Deutschland ungewöhnlich und auch nicht sehr sinnvoll, denn die Mehrheit hängt an einer Stimme der kleinsten Fraktion, die dadurch ein völlig überdimensioniertes Gewicht bekommt. Das ist hinsichtlich der politischen Legitimierung bzw. Legitimität problematisch.


    Das sehe ich ein, das ist aber bei der Koalitionsbildung ja auch nicht viel anders...

    Zitat

    Original geschrieben von andi2511
    Und der Wählerwille bei deutlichen Zugewinnen der CDU und ebenso deutlichen Verlusten der SPD muß schon eher in die Richtung Wechselwilligkeit gedeutet werden. :)


    Das wiederum sehe ich überhaupt nicht ein. Ca 5% der Wähler sind weg von der SPD zur CDU, aber in der Summe übrewiegen doch die Rot/Grün/SSW Stimmen. Das heißt eine kanppe Mehrheit will nicht Schwarz/Gelb, sondern Rot/Grün/SSW. Das ist doch der Wählerwille (also die Summe der Willen der einzelnen Menschen, die geählt haben...)
    Alles andere ist doch Augenwischerei
    Grüße
    Der Dingens

  • Dazu kommt, dass der SSW unter Normalumständen nicht im Landtag säße. Würde für ihn wie für alle anderen Parteien die 5%-Klausel gelten, hätten CDU-FDP eine Mehrheit...


    Und eine Tolerierung von Rot-Grün durch den SSW wäre ja tatächlich eine Tolerierung der Minderheitenkoalition. Anders sähe es freilich aus, wenn der SSW Koalitionspartner würde, dann gäbe es ja eine richtige Mehrheit. Aber wenn der SSW nur toleriert, sollte er sich meiner Meinung nach bei personellen Entscheidungen enthalten und bei der Sachpolitik die jeweilige Koalition, die seine Politik am ehesten unterstützt, tolerieren.


    Dingens


    Sehe ich nicht so, dass es einen Wählerwillen SPD/Grüne/SSW gibt, da ja Heide Simonis gesagt hat, sie würde nicht vom SSW toleriert werden wollen. Es könnte ja gut sein, dass 745 Dänen unter diesen Umständen "ihre" Partei gewählt haben, aber den Politikwechsel wollten und unter anderen Voraussetzungne Schwarz-Gelb gewählt hätten...

  • @ Dingens:


    Der postulierte "Wählerwille" leitet sich aus dem Umstand ab, daß der Wahlsieger das ungeschriebene Recht besitzt, die Regierung zu bilden.


    Der letzte Absatz ist imho insofern nicht ganz richtig, als daß sich Rot-Grün ja nur gewohnheitsmäßig nahe stehen. Inhaltlich gibt es auch andere denkbare Möglichkeiten und so könnte man ja auch argumentieren, rund 75% wollten eine große Koalition, da die Addition der beider Wahlergebnisse das so aussage oder überspitzt: 100% der Wähler wollen eine Regierung. ;)


    Man kann nämlich meines Erachtens nicht einfach die Wahlergebnisse addieren, denn das Schwarz-Gelb z.B. keine Mehrheit hat, liegt an der FDP und nicht an der CDU, die als Wahlsieger aus der Wahl geht - eine getrennte Bewertung tut also aus meiner Sicht schon Not. :)


    Die Frage ist aber sehr interessant, wenn man annimmt, daß der Wähler bewusst ein Bündnis wählt, wofür es ja bei Bundestagswahlen auch durch z.B. das Splitting der Erst- und Zeitstimme Anzeichen gibt.



    Zitat

    Original geschrieben von Abakus
    Aber wenn der SSW nur toleriert, sollte er sich meiner Meinung nach bei personellen Entscheidungen enthalten und bei der Sachpolitik die jeweilige Koalition, die seine Politik am ehesten unterstützt, tolerieren.


    Das wiederum wäre ja nun ein völlig instabiles Mehrheitsverhältnis und würde einer faktischen Regierungsunmöglichkeit schon ziemlich nahe kommen.

  • Die Probleme, die SH hat, sind zu erst, als dass man hier ein Experiment macht. Eine Tolerierung hat in Deutschland schon einmal nicht funktioniert (Sachsen-Anhalt).
    Die nächste Regierung muss sicher auch unpopuläre Maßnahmen durchziehen, und mit keiner eigenen Mehrheit dürfte das sehr schwierig werden.
    Deshalb, so denke ich, wird es so kommen:


    Falls etwas unpopuläres entschieden werden sollte, glaube ich nicht, dass der SSW dafür verantwortlich gemacht werden will, da er jetzt schon eine Minderheitenpartei ist und schauen muss, dass die Dänen und Friesen nicht zu anderen "konventionellen" Parteien abwandern. Platzen lassen will die "Koalition" bzw. die "Tolerierung" auch keiner, sodass im Endeffekt politisch nichts passieren wird.

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  • Zitat

    Original geschrieben von andi2511
    Das wiederum wäre ja nun ein völlig instabiles Mehrheitsverhältnis und würde einer faktischen Regierungsunmöglichkeit schon ziemlich nahe kommen.


    Auf der einen Seite hast Du recht, auf der anderen Seite würde es der eigentlichen Funktion eines Parlamentes als freies Diskussions- und Entscheidungsgremium unabhängig von Regierungen und Koalitionen ziemlich nahe kommen... ;) Ist halt schade, dass Sachpolitik in D nicht möglich ist und die Koalitionsregierungen immer die Regierung abnicken und die Oppositionsparteien immer contra sind... :(


    Überspitzt ausgedrückt: Da könnte man auch eine kleine Regierung (alle Sitze für die Partei mit den meisten Stimmen) wählen und sich das Parlament schenken.

  • Zitat

    Original geschrieben von Abakus
    Auf der einen Seite hast Du recht, auf der anderen Seite würde es der eigentlichen Funktion eines Parlamentes als freies Diskussions- und Entscheidungsgremium unabhängig von Regierungen und Koalitionen ziemlich nahe kommen... ;) Ist halt schade, dass Sachpolitik in D nicht möglich ist und die Koalitionsregierungen immer die Regierung abnicken und die Oppositionsparteien immer contra sind... :(


    Die Parteiendemokratie hat sich nunmal durchgesetzt in Deutschland und das hat nicht nur Nachteile: so ist eine stabile Regierungsfähigkeit, in der nicht bei jeder Sachfrage um Mehrheiten gerungen werden muß, über die es ja dann auch Machtkämpfe geben würde, einer instabilen Situation vorzuziehen.


    Die politische Willensbildung wird über die Programme der Parteien und deren Wahl erreicht, ansonsten wären Parteien entbehrlich und man müsste ein reines Repräsentantenparlament einführen.

  • Der SSW ist eine eigenständige Partei mit eigenem Programm, angelehnt an das skandinavische sozialdemokratische Modell. Klar, dass da mehr Übereinstimmungen mit der SPD als mit der CDU herauskommen. Aber zusätzlich ist der SSW auch dioe politische Vertretung zweier Minderheiten in Schleswig, nämlich der dänischen Minderheit (ca 50.000 Bürgerinnen und Bürger) und der friesischen Minderheit (ca. 10.000 Bürgerinnen und Bürger). Nach dem Bonn-Kopenhagener Abkommen von 1955 erhält die dänische Minderheit einen speziellen Schutzstatus in Deutschland, im Gegenzug erhielt die deutsche Minderheit in Dänemark (ca. 20.000 Bürgerinnen und Bürger) ebenfalls Minderheitenrechte. Dies Abkommen zwischen Dänemark und Deutschland gilt europaweit als vorbildlich für den Minderheitenschutz. Einem Großteil der deutschen Mehrheitsbevölkerung ist das alles völlig schnurz, bzw. sie wissen nicht einmal davon. Aber vielleicht sollte man sich nur mal kurz vorstellen, wie es einem selber in ähnlicher Situation ginge, zum Beispiel wenn Baden-Württemberg plötzlich zu Frankreich gehören würde. Da wäre man doch auch froh, wenn man weiterhin das Recht hätte, in der Öffentlichkeit Deutsch zu sprechen, wenn man deutsche Vertreter in die Parlamente wählen dürfte (die dort dann auch die speziellen Interessen der Minderheit vertreten), wenn man seine Kinder auf eine deutschsprachige Schule schicken dürfte usw. Da die Dänen und Friesen in Schleswig-Holstein jedoch auch nur eine Minderheit sind (eben ungefähr 60.000 von 2,8 Millionen Einwohnern, also gute 2%). Eine politische Partei hätte also schwer die Chance, über die 5-Prozent-Hürde zu kommen. Deswegen ist der SSW von der 5%-Hürde befreit (die Regelung wurde erst letzte Woche vom Bundesverfassungsgericht bestätigt!). Das Wahlergebnis von über 3% zeigt außerdem, dass sich auch viele Menschen, die nicht der Minderheit angehören, dem SSW ihre Stimme geben, weil sie deren Politik für gut befinden.

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