5,2 mio. Arbeitslose! Was können wir noch von der Zukunft erwarten?!

  • Die Globalisierung wird hoffentlich dazu führen, daß das Arbeitslosenproblem global angepackt wird, denn jeder existierende Staat auf der Welt (außer vielleicht dem Vatikan) wird sich früher oder später mit der Arbeitslosigkeit auseinandersetzen müssen.


    Lokale Problemlösungen führen aber zwangsläufig zu Personal- oder Kapitalverschiebungen ins oder aus dem Ausland (Martyn hatte das bereits anhand verschiedener möglicher Regulierungsmaßnahmen des Staates beispielhaft beschrieben).


    In der Folge wird also die Lösung eines Problems durch die ungewollte Wanderung von Kapital oder Arbeitskraft zu neuen Problemen führen.


    Als mögliche Globale Lösungen sehe ich durchaus die bereits hier im Thread erwähnte Besteuerung der Maschinen kommen.


    Ich erinnere mich an eine Zeit vor vielleicht 15 oder 20 Jahren, als durch alle Medien die Schlagzeile ging: "Maschinen werden den Menschen in der Zukunft die Arbeit abnehmen".


    Die wirklichkeit ist, daß die Maschinen uns die Arbeit WEGgenommen haben.


    In diesem engen Zusammenhang vertrete ich durchaus einen Sozialistischen Ansatz, der besagt, daß das Kapital, das derzeit die Unternehmen anhäufen und ursprünglich dem Arbeitenden Volk gehörte, nun denen zusteht, die nicht mehr arbeiten können, weil sie von Maschinen verdrängt wurden.


    Verteilen könnte man dieses Kapital zum Beispiel, indem JEDER Bürger, ungeachtet von Alter, Herkunft, Arbeitskraft oder -willen, einen monatlichen feststehenden, letztlich inflationsgebundenen Betrag erhält, der (ähnlich Hartz4) ein halbwegs lebenswertes Dasein sichert.


    Vorteile:


    Beim Einzelnen fällt der psychische Druck weg, den, wie hier schon (allzu-) oft angesprochen, so mancher Arbeitslose verspürt. Keiner muß sich mehr "nutzlos" vorkommen oder das Gefühl haben, er müsse sich für das Geld, das er erhält, rechtfertigen. Speziell unsere Gesellschaft würde wieder "gesünder" und selbstbewußter werden.


    99% des Verwaltungsaufwands fallen weg. Wenn JEDER einen festen Betrag erhielte, könnte man im gleichen Zuge das Kindergeld mit derselben angehängten Verwaltung fallen lassen.


    Die wirklich "Arbeitsfaulen" könnten ganz offen dazu stehen und wären auch nicht gezwungen zu arbeiten - außer natürlich, man wünscht sich Luxus. Die Annehmlichkeiten des Lebens wären (wahrscheinlich) ein ausreichend guter Motor für den gleichen Teil der Bevölkerung wie heutzutage, dennoch arbeiten zu gehen und sich zu dem Staatlichen Salär etwas dazuzuverdienen. Es würden nur die arbeiten, die wirklich "wollen", folglich wären die, die arbeiten, vermutlich zufriedener.


    Möglicherweise könnte die Steuerlast für die Arbeitenden sinken oder ganz wegfallen, wenn man allein die Maschinen/Unternehmer besteuern würde.


    Risiken:


    Möglicherweise könnte der Bildungsstand absacken, da ja keiner mehr für das Arbeitsleben lernen "muß". Man kann ja schließlich auch (bei verringertem Komfort) daheim bleiben. Ich persönlich bin mir da aber nicht so sicher.


    Ggf. wird es - bei zu großer Steuerlast - uninteressant, sich unternehmerisch zu betätigen. Auch hier bin ich skeptisch, da sich bei vereinfachtem Steuersystem und einhergehendem Bürokratieabbau Gewerbe wohl dennoch lohnen würde - und die letztendlich sinnlose Milliardenanhäuferei durch die Konzerne hätte vielleicht mal ein Ende.


    Bei Durchführung in nur einem Land würde dies zum Wegzug der Unternehmen und Zuzug von Menschen in riesigem Ausmaß führen - also ein System, das wirklich nur global anwendbar wäre.


    Dies ist sicher nur eines von vielen Modellen, das auch bestimmt von Wirtschaftswissenschaftlern schon tausende Male durchgespielt worden ist. Dennoch halte ich es für volkswirtschaftlich machbar und in letzter Konsequenz für alle nützlich. Leider ist es mit zu vielen totalen Umbrüchen verbunden, so daß es nicht einen Sache von Jahren, sondern eher von Generationen sein wird, bis man über etwas in dieser Art nachdenken wird.

  • In was für einer Welt leben hier manche User eigentlich?


    Alle Industriestaaten leiden unter einer mehr oder wenig hohen Arbeitslosigkeit, nur nicht alle dokumentieren die so gründlich wie Deutschland.


    Und der Kündigungsschutz ist bestimmt nicht der Grund für das laue Lüftchen in der Wirtschaftm genausowenig wie die Mär von den hohen Lohnnebenkosten.


    In Wirklichkeit ist es Bürokratismus, Auflagen ohne Ende und mangelnde Flexibilität die Deutschland an die Kette legt.

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    Ericsson T39m
    Legends never Die!
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  • Was die Lohnnebenkosten angeht, muß ich Dir widersprechen.


    Viele Unternehmen würden gerne mehr Personal beschäftigen, können dies aber aus Kostengründen nicht. Eine Halbierung der Lohnnebenkosten würde bei meinem (verhältnismäßig kleinen) Betrieb bedeuten, daß ich eine Halbtagskraft zusätzlich einstellen könnte und würde.


    Was die Bürokratie angeht, da wird Dir sicher keiner widersprechen.


    [EDIT] Auch der Kündigungsschutz ist ein ganz heißes Thema. Was glaubst Du, warum Leihfirmen immer noch aus dem Boden schießen wie Pilze? Warum "Outsourcing" das Lieblingswort der deutschen Unternehmen ist? Weil man Arbeitskraft erhält, die man von heute auf morgen wieder abbestellen kann! Sicher werden auch dort Verträge geschlossen. Aber wenn ich einem Subunternehmer den Vertrag kündige, dann muß ich keine Sozialauswahl beachten (und vor dem Arbeitsgericht schlüssig nachweisen!). Ich muß keine Abfindung zahlen, über deren Höhe ich nur spekulieren kann, und ich bekomme keinen "Gelben Urlaubsschein" auf den Tisch, denn der Subunternehmer muß und wird seinen Vertrag erfüllen. [/EDIT]


    NoTeen

  • Zitat

    Original geschrieben von NoTeen


    Als mögliche Globale Lösungen sehe ich durchaus die bereits hier im Thread erwähnte Besteuerung der Maschinen kommen.


    Ok, vielleicht bin ich zu blöd, aber kann mir mal jemand erklären, wie eine Besteuerung von "Maschinen" funktionieren soll?
    z.b.:
    1. Was ist die Definition einer Maschine, die besteuert werden soll? (Druckpresse?, Computer? Handy? Kaffeemaschine? Monitor? Maus?)
    2. Wer und wie soll ALLGEMEINGÜLTIG bestimmt werden, was eine Maschine erwirtschaftet? Das einen Kostenrechnung das evtl. kann ist möglich, aber dies ist ja interne Rechnungslegung und somit nach eigenem Ermessen. Wie sollen den Gesetze aussehen, die bei den unterschiedlichen Arten von Maschinen in allen Branchen, die meistens keinen messbaren Output liefern, dann Besteuerungsregeln festlegen??


    Das klingt mir so utopisch, dass es niemals realisierbar ist... Wir leben ja nicht gerade in einer Zeit, wo jede Maschine einen bestimmten Output hat (Schraube), welcher einen Gewinn erwirtschaftet, der dann dieser Maschine zugerechnet werden kann....


    Aber vielleicht steh ich ja auf dem Schlauch... Deswegen freue ich mich über jede Erläuterung?!


    Grüße

    Galaxy Note 3 (vorher diverse iPhones)

  • Neulich wurde hier doch ein interessantes Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden einer Drogeriemarkt-Kette verlinkt.


    Was der Mann gesagt hat, und er hatte vollkommen recht, passt auch gut in dieses Thema.


    Positive Effekte auf dem Arbeitsmarkt werden wir nur kurzfristig erzielen können, indem sich Deutschland im Wettbewerb um die verbliebenden Arbeitsplätze besser positioniert und durch andere Effekte demographischer oder qualitativer Natur (viele Unternehmen werden die Erfahrung machen, dass die Arbeitsqualität und -moral in den klassischen Billiglohnländern proportional zu den steigenden Lebenshaltungskosten sinken, was ein Wunder auch), aber mittel- und langfristig ist jedes Unternehmen auch in Zukunft bestrebt, maximalen Gewinn mit minimalem Aufwand zu machen. Und die heutige und zukünftige Technik wird auch weiterhin das Ziel von immer mehr Produktivität mit immer weniger Menschen vorantreiben.


    Das ist real und Fakt, egal, wie lächerlich bemüht, wir an den kleinen Rädchen rumschrauben, ob 1% Arbeitslosenversicherung runter oder irgendwann Hartz VII (Ausscheiden aus dem Leben nach 12 Monaten Arbeitslosigkeit mit Abfindung zur Existenzgründung im Jenseits).


    Wir werden auf lange Sicht noch viel mehr Arbeitsplätze verlieren als das bis heute der Fall war. Es wird noch viel mehr als heute nicht mehr für jeden qualifizierten, arbeitswilligen Menschen eine Arbeit in der freien Marktwirtschaft geben. D.h. anstatt alle Energie auf das Verhindern des unvermeidlichen zu wenden, sollte man sich vielleicht auch mal Gedanken machen, wie das System zu verändern ist, dass es in 20, 30, 40 Jahren diese Umstände auch berücksichtigen kann.


    Es kann auf Dauer und für die langfristige Zukunft keine Lösung sein, immer weniger Menschen, die in der freien Wirtschaft arbeiten, alleine am volkswirtschaftlichen Einkommen partizipieren und alle anderen verarmen zu lassen.


    Man darf nicht nur die Kosten sehen, die Arbeitslose verursachen, man muss auch mal das gewaltige Potential sehen, das wir mit dem derzeitigen Arbeitsmarktsystem quasi in den Mülleimer werfen, weil wir das Leistungspotential vieler dieser Menschen gar nicht abrufen. Wenn es in der freien Wirtschaft nicht mehr genug Arbeitsplätze gibt, dann wird man im sozialen und gesellschaftlichen Bereich Arbeitsplätze schaffen müssen, da gab und wird es immer genug zu tun geben, und das dürfen keine 1,30 €-Jobs sein, sondern es muss möglich sein, mindestens 2/3 dessen zu bekommen, was man in vergleichbarer Stellung in der Wirtschaft verdienen kann.


    Natürlich muss das gegenfinanziert werden und auch wenn das heute utopisch klingt, irgendwann werden wir vielleicht tatsächlich die "Maschinensteuer" einführen oder etwas ähnliches.


    Es ist natürlich nicht so weit und es muss natürlich versucht werden, die gegenwärtigen Probleme zumindest etwas abzufedern, aber mit diesem Ansatz und Verständnis von Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik wird man nicht mehr ewig weit kommen.

    23.05.2009, 17:18 Uhr...VfB Stuttgart nach 3:1 in München Deutscher Meister 2009, Diego beendet in seinem letzten Spiel für Werder Wolfsburger Titelträume...

  • Zitat

    Original geschrieben von D-Love
    Wir werden auf lange Sicht noch viel mehr Arbeitsplätze verlieren als das bis heute der Fall war. Es wird noch viel mehr als heute nicht mehr für jeden qualifizierten, arbeitswilligen Menschen eine Arbeit in der freien Marktwirtschaft geben.


    Das sehen viele aufgrund des demographischen Aufbaus unserer Gesellschaft anders und viele Experten prognostizieren einen Fachkräftemangel für die Zukunft, der sich jetzt an einigen Ecken (Ärzte, IT-Experten u.a.) schon bemerkbar macht.


    Siehe z.B. --> http://www.ftd.de/pw/de/34103.html oder auch hier ...

  • Zitat

    Original geschrieben von NoTeen
    Verteilen könnte man dieses Kapital zum Beispiel, indem JEDER Bürger, ungeachtet von Alter, Herkunft, Arbeitskraft oder -willen, einen monatlichen feststehenden, letztlich inflationsgebundenen Betrag erhält, der (ähnlich Hartz4) ein halbwegs lebenswertes Dasein sichert.


    Dieser Ansatz geht ja sehrweit in Richtung Bürgergeld. Dem kann ich auch überhauptnichst abgewinnen, weil ich glaube das mit so einem System die Inflation arg angeheizt werden würde. Wenn jeder einfach Geld bekommen würde, würden auch die die arbeiten wollen deutlich höhere Honorar / Gehalt / Lohn fordern -> die Preise steigen -> mehr Bürgergeld muss bezahlt werden um den Standart zu halten + Honorar / Gehalt / Lohn muss steigen -> die Preise steigen nochweiter.


    Ich glaub leider das dieses System nur bei StarTrek funktioniert.


    Zitat

    Original geschrieben von NoTeen
    Viele Unternehmen würden gerne mehr Personal beschäftigen, können dies aber aus Kostengründen nicht. Eine Halbierung der Lohnnebenkosten würde bei meinem (verhältnismäßig kleinen) Betrieb bedeuten, daß ich eine Halbtagskraft zusätzlich einstellen könnte und würde.


    Was die Bürokratie angeht, da wird Dir sicher keiner widersprechen.


    Das kann ich gut verstehen und ist im Prinzip auch total richtig.


    Nur frage ich mich wie man die Lohnnebenkosten senken soll. Denn wenn man die Lohnnebenkosten senkt, kommt ja weniger Geld in die Kassen der Sozialversicherungen.


    Also wird man die Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherungen kürzen müssen, ergo muss der Arbeitnehmer dann die ein Selbsständiger selbst vorsorgen.


    Das ist zwar aus sicht des Arbeitnehmers möglich, aber dafür braucht er dann mehr Geld, also wird er vom Arbeitgeber auch mehr Geld fordern müssen.


    Im Prinzip führt das nur dazu, das der Arbeitgeber weniger Lohnnebenkosten abführt und dem Arbeitnehmer mehr netto auszahlt, dieses zusätzliche Geld muss der Arbeitnehmer aber dann auch gleich wieder selbst an die Versicherungen abführen.


    Im Endeffekt hat der Arbeitgeber nicht weniger Gesamtkosten und der Arbeitnehmer nicht mehr Geld zur Verfügung. Es kommt aufs Gleiche raus wie zuvor.

  • Zitat

    Original geschrieben von D-Love
    Neulich wurde hier doch ein interessantes Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden einer Drogeriemarkt-Kette verlinkt.


    Was der Mann gesagt hat, und er hatte vollkommen recht, passt auch gut in dieses Thema.


    Für alle Interessierten ist hier das Interview: Wenn mir jemand per PN erklären kann wie ich hierzu einen Link setzen kann, dann bitte machen. Ich bin nämlich fast verzweifelt. Vielleicht kann ein Admin das ja dann editieren ;)


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    Da in den letzten Beiträgen wieder öfters zu lesen war dass die Wirtschaft Arbeitsplätze schaffen soll, möchte ich folgendes Interview noch mal auflisten, da es mittlerweile (aufgrund der Größe) in diesem Tread untergeht:


    Folgendes Interview will ich Euch nicht vorenthalten und werde es auch nicht kommentieren. Es kann jeder selbst sein Urteil daraus schließen:



    "Die Wirtschaft befreit die Menschen von der Arbeit"


    Götz Werner, der Chef der Drogeriemarktkette DM: Deutschland braucht ein Bürgergeld und nur noch eine Steuer


    Alle Politiker sind sich einig: Das wichtigste in Deutschland ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die Drogeriemarktkette DM ist ein Unternehmen, bei dem seit Jahren neue Stellen geschaffen werden. Doch im Gespräch mit Sönke Iwersen überrascht der Gründer Götz Werner mit ungewohnten Ansichten.


    Herr Werner, wie wichtig ist Ihnen die Schaffung neuer Arbeitsplätze?


    Überhaupt nicht wichtig. Sonst wäre ich ja ein schlechter Unternehmer. Als solcher habe ich meine Aufgaben zu erfüllen.


    Wäre es nicht Ihre vornehmste Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen?


    Ich muss wirklich sagen, dass ich dieses Gerede von der Schaffung neuer Arbeitsplätze langsam nicht mehr hören kann. Warum wird dem so wenig widersprochen? Die Wirtschaft hat nicht die Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen. Im Gegenteil. Die Aufgabe der Wirtschaft ist es, die Menschen von der Arbeit zu befreien. Und das ist uns in den letzten 50 Jahren ja auch grandios gelungen.


    Sie finden Arbeitslosigkeit grandios?


    Moment. Noch keine Generation in Deutschland musste jemals so wenig arbeiten und hatte gleichzeitig einen solchen Lebensstandard wie wir heute. Als ich ins Gymnasium ging, hatten zwei Kinder in der Klasse einen Fernseher und bei zwei Kindern in der Klasse hatten die Eltern ein Auto. Bei meinen Kindern heute gibt es wahrscheinlich zwei Elternhäuser, die keine zwei Autos haben. Und vielleicht zwei Elternhäuser, die keine zwei Fernseher haben.


    Aber der Wohlstand kommt doch von Arbeit, nicht von Arbeitslosigkeit. Wie schaffen wir es, dass wieder mehr Arbeitsplätze entstehen?


    Das ist nicht die Frage, die sich ein Unternehmer stellt. Kein Unternehmer überlegt sich morgens, wenn er in den Laden kommt: Wie kann ich heute möglichst viele Menschen beschäftigen? Allein die Vorstellung ist schon absurd. Die Frage lautet umgekehrt: Wie kann ich mit einem möglichst geringen Aufwand an Zeit und Ressourcen möglichst viel für meine Kunden erreichen? Wie kann ich den Laden besser organisieren? Und besser organisieren heißt immer, Arbeit einzusparen. Das ist ein absolutes unternehmerisches Prinzip.


    Aber Herr Werner. Sie haben bei DM in den letzten Jahren doch selbst tausende von Arbeitsplätzen geschaffen.


    Ja schon. Aber unser Unternehmen ist deswegen erfolgreich, weil es produktiver ist als andere. Weil es produktiver ist, wächst es. Weil es wächst, schafft es Arbeitsplätze. Aber die gehen zu Lasten der Arbeitsplätze bei den Unternehmen, die weniger produktiv sind. Volkswirtschaftlich gesehen führt Erfolg bei gesättigten Märkten immer zum Abbau von Arbeitsplätzen.


    Sie halten fünf Millionen Arbeitslose also für einen Beweis der Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft?


    Zumindest ist es ein Ausdruck der Produktivitätsentwicklung. Und eine Produktivitätsentwicklung ist immer ein Fortschritt. Ich erinnere mich daran, dass meine Mutter 1959 einen VW-Käfer bestellt hat. Da betrug die Lieferzeit 13 Monate. Können Sie sich das heute noch vorstellen?


    Kaum.


    Sehen Sie. Und Anfang der 70er Jahre warb die Post mit dem Motto: Fasse dich kurz. Der Grund war, dass ständig die Leitungen belegt waren und die Leute sich die Finger wund wählten. Stellen Sie sich mal vor, die Telekom oder Vodafone würden heute mit solchen Werbesprüchen kommen. Das ist gar nicht denkbar.


    Sie wollen sagen, dass es uns heute besser geht als früher.


    Wir leben quasi in paradiesischen Zuständen. Denn wir sind heute in der Lage, weit mehr zu produzieren, als wir sinnvoll verbrauchen können. Ein Beispiel: Wäre die Wiedervereinigung 20 Jahre früher gekommen, hätte es in Deutschland riesige Mangelerscheinungen gegeben. 1970 war die Wirtschaft noch nicht so weit, mal eben 17 Millionen Menschen mitzuversorgen. 1990 funktionierte das doch erstaunlich glatt. Niemand im Westen musste einen Mangel erleben.


    Dafür sind heute im Osten 20 Prozent der Menschen arbeitslos.


    Ja, schlimm genug. Aber diese ganze Diskussion um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit führt ins Nichts. Und jeder, der etwas von Wirtschaft versteht, weiß doch eines: Die Zeit der Massenarbeit ist vorbei. Ich war gerade in Island. Doch hat mir ein Fischer erzählt, dass die Isländer heute dank Fabrikschiffen mit einem Viertel der Arbeiter vier mal so viel Fisch produzieren wie vor 30 Jahren. Verstehen Sie? 75 Prozent der Leute werden einfach nicht mehr gebraucht. Solche Beispiele gibt es überall. Unsere Fähigkeit, Dinge zu produzieren, übersteigt unseren Bedarf, Dinge zu konsumieren. Das ist eine ganz einfache Tatsache, und keine Arbeitsmarktreform kann daran etwas ändern.


    Trotzdem fordern Politiker, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften ständig bessere Rahmenbedingungen, damit mehr Arbeitsplätze entstehen können.


    Ich weiß. Aber wir müssen uns doch fragen: Was ist eigentlich die Aufgabe der Wirtschaft? Es gibt zwei Aufgaben. Die erste: Sie muss die Menschen mit Gütern und Dienstleistungen versorgen. Und nie in der Geschichte hat die Wirtschaft diese Aufgabe so gut erfüllt wie heute. Wir sehen doch den totalen Überfluss. Obwohl die meisten Fabriken längst nicht ausgelastet sind, wird alles produziert, was man sich wünschen kann.


    Produziert schon. Aber die Leute haben nicht genug Geld, es zu kaufen.


    Aha! Jetzt kommen wir zur zweiten Aufgabe: Die Wirtschaft muss die Güter nicht nur produzieren. Sie muss die Menschen auch mit ausreichend Geld ausstatten, um zu konsumieren.


    Ausstatten? Für Geld muss man arbeiten.


    Ja, ja. Und wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, nicht wahr? Dieses Denken sitzt immer noch tief in den Köpfen. Aber damit kommen wir heute nicht mehr weiter.


    Also wollen Sie das Geld einfach verteilen? Das ist doch naiv.


    Meinen Sie? Lassen Sie mich bitte auf folgendes Phänomen hinweisen: Warum gehen in Deutschland Baufirmen zu Grunde, obwohl es im Straßenbau dringenden Bedarf gibt und wir die Leistung erbringen könnten?


    Weil der Staat kein Geld hat, die Firmen zu bezahlen.


    Ja. Aber dieser Irrtum kommt zu Stande, weil alles immer durch den Geldschleier gesehen wird. Der Lebensstandard einer Gesellschaft hängt doch davon ab, wie viele Güter sie produzieren kann. Nicht davon, wie viele sie finanzieren kann.


    Nicht?


    Nein. Nehmen Sie die frühere DDR. Dort gab es Geld im Überfluss, aber man konnte sich nur sehr wenig kaufen. Also was ist wichtiger: Das Geld? Oder die Güter?


    Was also schlagen Sie vor? Die Maschinen arbeiten, und der Staat verteilt das Geld, damit die Bürger konsumieren können?


    So ähnlich. Wir brauchen das bedingungslose Bürgergeld. Eine Lebensrente für jeden Bürger. Selbstverständlich können solche Veränderungen nur schrittweise über einen längeren Zeitraum eingeführt werden.


    Wie hoch soll dieses Bürgergeld denn sein?


    Hoch genug, um die Grundbedürfnisse zu decken. 1300 bis 1500 Euro.


    Schöne Idee. Und wie wird das finanziert? Sagen Sie jetzt bitte nicht, wir brauchen mehr Steuern.


    Keine Angst. Ich bin dafür, alle Steuern abzuschaffen. Bis auf eine: die Mehrwertsteuer.


    Und wie hoch soll die dann sein?


    Das könnten bis zu 48 Prozent sein.


    Sie machen Witze.


    Nein. Zählen Sie doch mal alle Steuern und Sozialleistungen zusammen. Da haben wir doch schon eine Staatsquote von rund 48 Prozent. Wenn die nur noch über die Mehrwertsteuer zu finanzieren wäre, hätte das riesige Vorteile.


    Welche denn?


    Die Mehrwertsteuer ist die einzige Steuer, die den Wertschöpfungsvorgang nicht behindert, nicht bremst, nicht verzerrt. Das heißt: die ganze Produktion wird steuerfrei gehalten und es kann unbehindert investiert werden.


    Also noch mehr Entlastung für die Unternehmen und noch mehr Belastung für die Verbraucher?


    Nein. Einfach mehr Klarheit und mehr Fairness. Ich weiß, dass Politiker unterschiedlichster Couleur fordern: Wir müssen die Reichen besteuern, die Unternehmen müssen wir besteuern und damit den kleinen Mann entlasten. Das ist eigentlich eine Lüge. Warum? Weil Unternehmer und Unternehmen faktisch keine Steuern bezahlen.


    Da werden Ihnen einige Unternehmerkollegen widersprechen.


    Jammern gehört zum Handwerk. Aber jeder Unternehmer weiß, was man mit Steuern macht: Man muss sie einkalkulieren. Alle Steuern, die die Unternehmen zahlen, fließen in die Preise für die Produkte ein. Letzten Endes zahlt immer der Verbraucher.


    Was wäre also der Vorteil, alle Steuern in der Mehrwertsteuer zusammenzufassen?


    Na, der ganze gewaltige Verwaltungsapparat des Staates würde zusammenschnurren. Denken Sie mal daran, wie viele Beamte ihre Zeit damit verschwenden, die Steuern zu erheben, auszurechnen und zu überprüfen. Das wäre alles überflüssig.


    Welche anderen Vorteile hätte Ihr Plan?


    Dass die Importe endlich mal richtig besteuert werden. Die billigen Textilien aus China oder Rumänien kommen doch nur so billig hier an, weil sie nur mit einer Mehrwertsteuer von 16 Prozent belastet sind. In jedem Produkt stecken Infrastrukturkosten. Aber die Infrastruktur in Deutschland ist natürlich teurer als die in China. Anders herum würden die deutschen Exporte extrem attraktiv, weil sie von Steuern völlig unbelastet wären. Außerdem würden die Arbeitskosten extrem sinken, weil ja das Bürgergeld auf die Einkommen angerechnet würde.


    Wie soll das funktionieren?


    Nehmen wir an, eine Krankenschwester verdient 2500 Euro. Nach Abzug des Bürgergeldes von 1300 Euro müsste das Krankenhaus ihr noch 1200 Euro bezahlen. Sie hätte danach gleich viel, aber ihre Arbeitsleistung wäre für das Krankenhaus viel leichter zu finanzieren. Das Bürgergeld würde die arbeitsintensiven Güter und Dienstleistungen entlasten und dadurch den Arbeitsmarkt enorm beleben. Insgesamt würden die Preise dadurch gleich bleiben, denn der Staat müsste ja das zu zahlende Bürgergeld über die Mehrwertsteuer wieder refinanzieren.


    Aber wer wird denn in Zukunft noch arbeiten, wenn er für 1500 Euro auch zu Hause bleiben kann?


    Sie unterschätzen den immateriellen Wert der Arbeit. Viele Menschen haben sehr viel Spaß an ihrer Aufgabe. Denken Sie auch an alle sozialen Berufe und die ganze Kulturarbeit. Da gibt es einen riesigen Bedarf in der Gesellschaft, der endlich finanzierbar wäre.


    Und die langweiligen, die unangenehmen Jobs?


    Die müssten dann eben höher entlohnt werden, wenn wir sie benötigen. Natürlich wird es dann zukünftig Berufe und auch Unternehmen geben, denen es schwer fallen wird, Menschen zu finden. Warum? Weil ja die Menschen dann nicht mehr arbeiten werden, weil sie müssen, sondern weil sie in ihrer Arbeit eine Sinnerfüllung erleben. Und auch, weil es ihnen Spaß macht.


    Herr Werner, alle sprechen von der Krise. Wer Ihnen zuhört, könnte denken, es geht Deutschland ausgezeichnet.


    Das stimmt ja auch. Unser Land hat noch nie so viel Wohlstand produziert wie heute. Wir haben nur Schwierigkeiten, den Wohlstand zu verteilen. Das sind wir einfach nicht gewohnt.


    Also keine Krise?


    Jedenfalls keine Wirtschaftskrise. Die Frage, die mich wirklich umtreibt, ist eine andere. Wir steuern auf eine Gesellschaft zu, in der die Arbeit verschwindet. Und die Frage ist nur, was die Menschen dann alle mit ihrer Zeit anfangen. Das ist eine Kulturfrage. Das Problem, das wir haben, liegt nicht auf dem Arbeitsmarkt sondern eigentlich in der Kultur. Leider ist dieses Thema im Bewusstsein der Gesellschaft kaum vorhanden. Aber genau hier müssen wir ansetzen.


    Aktualisiert: 02.07.2005, 06:19 Uhr

  • Ich bin im Großen und Ganzen einer Meinung mit Herrn Werner. Die Finanzierung des Bürgergeldes über die Mehrwertsteuer wäre ebenfalls ein denkbarer Ansatz.


    Stellt euch mal allein den unvorstellbaren Bürokratiewegfall vor, wenn ALLE Steuern außer einer fallen würden.


    Ich sehe auch nicht die Gefahr, daß die Arbeitenden Menschen sofort mehr Lohn verlangen würden, "weil die, die nicht arbeiten, ja auch viel bekommen" - vorausgesetzt, sie partizipieren selbst an diesem Bürgergeld. Im Gegenteil: Einige, die es sich heutzutage finanziell nicht erlauben können, würden aufatmen und "endlich mal" kürzer treten. Die Arbeitsleistung wäre endlich der Persönlichen Motivation angemessen.


    Daß eine Verringerung der Sozialbeiträge nicht unbedingt zu höheren Löhnen führen muß, ist Dir doch eigentlich klar, Martyn? Wenn Mittelständler tatsächlich das Geld in Arbeitsplätze investieren, dann gibt es wieder mehr Beitragszahler, weniger Arbeitslose, die staatliche Leistungen erhalten usw. usf.
    Sonst müßte man sich im Umkehrschluß fragen, wie es vor 20 Jahren möglich war, mit Kassenbeiträgen unter 13% (verbessert mich, wenn ich falsch liege) alle erdenklichen Medikamente, vollständige Zahnsanierungen und was weiß ich noch alles für die Versicherten zu finanzieren.


    Wie man welche Maschinen im Einzelnen besteuern könnte, ist im Moment nicht meine Sorge. Auch ich halte ein solches System momentan für utopisch.


    Dennoch wird man sich mit dem Gedanken anfreunden müssen (wie auch Herr Werner sagt), daß es langfristig nicht ausreichen wird, an den kleinen Stellschräubchen zu drehen. Irgendwann wird ein großer Schnitt notwendig sein, um den dann stillstehenden Wirtschaftsmotor wieder zum Laufen zu bringen.


    NoTeen

  • Danach müssten wir nur noch im Gesundheitssystem kräftig aufräumen. Gewitzte Politiker gaben damals die Betriebskrankenkassen für alle frei, die daraufhin junge, attraktive Gesunde zu Hauf in ihrer Versicherung sammelten, ihre Kosten senken konnten und niedrige Beiträge ermöglichten. Eine Kasse wie die AOK blieb auf den ganzen kostenintensiven Rentnern hocken und hatte keine Kohle. Flugs kamen unsere tollen Politiker auf die Idee, eine Behörde zu schaffen, in der jetzt 10.000 Leute das ganze Jahr nichts anderes machen als den Krankenkassenstrukturausgleich zu errechnen. Natürlich arbeiten diese 10.000 Leute nicht für kostenlos... Leidtragende sind die Ärzte die weniger vom Gesamttopf bekommen und natürlich die Beitragszahler. Aber dafür sieht das ganze jetzt nach freiem Wettbewerb auch, wo vom System her schon gar keiner ist - außer, man lässt die Kranken die es sich nicht leisten können verrecken....



    Und dass sich unser gesamtes gesellschaftliches Konzept noch auf Erwerbsarbeit stützt, obwohl selbst unter optimalen Bedingungen für eine Rundum-Vollbeschäftigung gar keine Arbeit mehr vorhanden ist, ist einigen schon lange klar. Nur wie überzeugt man jemand, der zwar schon alles hat und seine vielen Millionen gar nicht im Leben ausgeben kann, dass er auf auch nur 1 Cent verzichtet, der jemand anderst als Grundversorgung bekommt? ;) Seit Menschengedenken funktioniert Arbeit durch Ausbeutung - viele kriegen wenig, wenige kassieren viel. Der ganze Protestantismus beruht auf "ora et labora, Vergnügen gibts erst im Himmel (wenn du genug gearbeitet hast)"... und das sollen wir plötzlich aufgeben? ;)

    Q: I've always tried to teach you two things. First, never let them see you bleed.
    Bond: And the second?
    Q: Always have an escape plan...

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