Die Berichterstattung über die Flüchtlingskrise in der Presse ist m.E. im Ganzen absolut okay, und viele der Vorhalte gegenüber der Presse sind schlicht und ergreifend nicht zutreffend. Beispielsweise wird gern behauptet, dass in der Presse überwiegend von Familien die Rede sei, die nach Europa kämen, dabei seien es doch überwiegend Männer. Tatsächlich ist der Männerüberschuss aber nie verschwiegen worden, im Gegenteil.
Dann wird gesagt, die Presse begleite die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin völlig unkritisch. Wenn ich so etwas höre oder lese, muss ich mich wirklich fragen, ob Leute, die dergleichen behaupten, überhaupt eine gedruckte Tageszeitung in die Hand nehmen. Ich muss annehmen, dass sie das nicht tun, denn sonst wäre es nicht die Presse, die lügt, sondern sie selbst: Schon in der bloßen Berichterstattung wurde von Beginn auf die Kritik an Frau Merkel, etwa innerhalb der Union hingewiesen und ausführlich darüber berichtet. Die Gewalt gegen Flüchtlinge, die es schon damals gab, rückte da zeitweise völlig in den Hintergrund (was ich nur konstatiere).
Besonders aber in den Kommentaren der Tageszeitungen gab es sehr viel Kritik an Frau Merkel. Nun sind Kommentare Meinungsäußerungen und unterliegen damit anderen Gesetzmäßigkeiten als die Berichterstattung. Genau deshalb sind sie auch als Kommentare gekennzeichnet. Kommentare sind ein Meinungsangebot, das man als Leser annehmen oder ablehnen kann. Schon deshalb wäre es albern, wenn man von 'Lügenpresse' spricht, weil die Kommentarspalten der Tageszeitungen die eigene Meinung nicht wiedergeben. Bei der gegenwärtigen Debatte kann man jedoch überhaupt nicht davon sprechen, dass die Kommentierung in der Presse uniform war. Es reicht aus, sich allmorgendlich die Presseschau im Deutschlandfunk anzuhören, um zu erkennen, wie bunt, vielfältig und kritisch die Flüchtlingspolitik kommentiert wurde. 'Die Welt' beispielsweise schreibt seit Wochen gegen Frau Merkel an, mit zum Teil inhaltlich vernichtenden Kolumnen. Die 'FAZ' ist gespalten - es gibt höchst kritische Kommentatoren wie Herrn Müller, und das Feuilleton der FAZ druckte Beiträge von Jörg Baberowski und Manfred Hettling ab, die sich ebenfalls sehr kritisch zur Flüchtlingspolitik äußerten. Zugleich gibt es in der FAZ allerdings auch Kommentatoren, die die Politik der Kanzlerin unterstützen.
Zu sagen, die Presse verschweige mutwillig Missstände oder erfinde Dinge, ist schlicht und ergreifend nicht zutreffend. Was man allerdings nicht verlangen kann, dass die Presse die Dinge so schildert, wie man sie selbst am liebsten hätte.