Der Thread-Titel, der zunächst sicher ein einheitlicher war, ist zwischenzeitlich gar nicht mehr so eindeutig.
Der Begriff "Stuttgart 21" steht längst nicht mehr nur für das Bauprojekt. "Stuttgart 21" wird in die deutsche Geschichte eher eingehen als der Beginn eines Aufbegehrens der Bürger gegen einen Staat, der formaljuristisch eine Demokratie ist, in der sich die gewählten Volksvertreter vollkommen legitim aber dennoch willkürlich über den Bürgerwillen hinwegsetzen können. Sogar das vom Bürger "gewählte" Programm einer Partei wird zuweilen nach der Wahl in Gutsherrenmanier geändert, wobei der Wille zur Änderung teilweise schon vor der Wahl vorhanden war - dem Bürger wider besseres Wissen aber aus "wahltaktischen Gründen" verheimlicht wurde (Edit: was im Fall Stuttgart nicht geschehen, aber sonst oft symptomatisch ist). Wenn das Volk dann gegen solche Zustände aufbegehrt, wird es - juristisch vollkommen legitim - rücksichtslos niedergeprügelt.
Das ist das, wofür der Begriff "Stuttgart 21" inzwischen steht. Nur so ist das inzwischen bundesweite Interesse daran zu erklären. So bin ich als Bürger eines anderen Bundeslandes erst durch die jüngsten Gewaltexzesse überhaupt zum Stuttgart 21-Gegner geworden. Die Vorgänge in Stuttgart sind nämlich bezeichnend für eine bundesweite Stimmungslage in der Gesellschaft. Stuttgart 21 wird richtungsweisend sein für eine Vielzahl über die gesamte Bundesrepublik verteilter Projekte. Es ist also längst keine lokale Angelegenheit mehr.
Es gilt die grundsätzliche Frage zu klären, ob das Volk sich mit dem Demokratiebegriff des lediglich als Übergangslösung erlassenen Grundgesetzes noch weiter identifizieren kann, oder ob die Zeit inzwischen reif ist, dass das Volk selbst sich gem Art. 146 GG eine Verfassung gibt, in der der Demokratiebegriff endlich einmal vom Volk selbst im eigenen Sinne definiert wird.
Noch einmal sei daran erinnert, dass das Grundgesetz eben keine vom Volk beschlossene und legitimierte Verfassung ist, sondern ein Gesetz, das dem Volk (eigentlich nur bis zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung) "übergestülpt" wurde. Für den Fall der Wiedervereinigung bestimmt Art. 146 GG, dass das Grundgesetz ab diesem Zeitpunkt lediglich noch den Charakter einer Übergangsregelung hat, die mit der Verabschiedung einer Verfassung durch das Volk endgültig außer Kraft tritt.
Vor diesem Hintergrund von politischen Entscheidungen zu sprechen, "die vom Volk legitimiert sind", halte ich für bedenklich. Wirklich legitimiert wären sie dann, wenn das Volk selbst die Regelungen zur Demokratie verabschiedet hätte.
Nach der jetzigen Rechtslage sind sie zwar (grund-)gesetzmäßig ... mangels vom Volk verabschiedeteter Regelungen zur Ausgestaltung der Demokratie von einer "Legitimation durch das Volk" zu sprechen, halte ich aber für vermessen. "Legitimiert durch die Vorschriften eines Übergangs-(grund)-gesetzes" wäre da schon ein viel passenderer Begriff.
Ich hoffe, dass ich verdeutlichen konnte, warum "Stuttgart 21" längst weit über das hinausgewachsen ist, was es einstmals war. Es ist eine nationale Krise, in der von beiden Seiten das Feuer hemmongslos geschürt wird in beiderseitigem Wissen darum, dass der richtige Knall erst noch droht.
Frankie
Anhang:
Wer es nicht glauben mag kann es hier Art. 146 GG (in aller Kürze) nachlesen.
Wer das Thema vertiefen möchte, wird in der entsprechenden Literatur sicher schnell fündig werden.
Wenn in manchen Quellen festgestellt wird, dass eine Übergangregelung bis in alle Ewigkeit fortgelten kann, wenn keine endgülige geschaffen wird, ist das zwar richtig. Die Frage einer Legitimation durch das Volk selbst erübrigt sich dadurch aber nicht. Sie fehlt, solange nicht das Volk selbst eine entsprechende Entscheidung getroffen hat (in der rein theoretisch sogar das Grundgesetz als Verfassung übernommen werden könnte - woran ich angesichts der jüngsten Ereignisse aber nicht glaube).